Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien.

Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewöhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland könne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genösse dafür unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes.

Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt hätte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitäten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein ängstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmäßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthätigkeit mir zu wünschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen.

Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon überzeugen konnte, ich hätte nun die Gnade; denn


Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien.

Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewoͤhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genoͤsse dafuͤr unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes.

Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt haͤtte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitaͤten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein aͤngstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthaͤtigkeit mir zu wuͤnschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen.

Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon uͤberzeugen konnte, ich haͤtte nun die Gnade; denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0106" n="104"/><lb/>
Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon  sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien. </p>
            <p>Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die  Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so  gewo&#x0364;hnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts  hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der  Heiland ko&#x0364;nne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in  Collegia, und geno&#x0364;sse dafu&#x0364;r unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des  Heilandes. </p>
            <p>Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der  gute Mann jemalen was ernstliches gelernt ha&#x0364;tte; ich hatte schon ehedem  Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universita&#x0364;ten kennen lernen.  Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein a&#x0364;ngstliches  Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtma&#x0364;ßigen oder unschuldigen  Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Untha&#x0364;tigkeit mir zu  wu&#x0364;nschen; und hatte noch nichts von <hi rendition="#b">Molinos</hi> oder  neuern <hi rendition="#b">Mystikern</hi> gelesen. </p>
            <p><hi rendition="#b">Krause</hi> half dazu, um, wie er meinte, mich vollend  zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder  ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche  Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon u&#x0364;berzeugen konnte, ich ha&#x0364;tte  nun die <hi rendition="#b">Gnade</hi>; denn<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0106] Worte, woraus Woltersdorf schloß, ich sey dem Heiland schon sehr nahe. Jch trat ans Clavier und spielte einige Herrnhuthische Melodien. Er war fast außer sich, und konnte dieß nicht begreifen, daß ich gar die Lieder auswendig konnte, ohne noch an dem Jnhalt und den sonst so gewoͤhnlichen Folgen Theil zu nehmen. Endlich hieß es, nichts gar nichts hindre mich noch, als das unselige Studiren; ich sollte es wegwerfen; der Heiland koͤnne besser lehren, als Menschen; darum ginge er auch nicht in Collegia, und genoͤsse dafuͤr unaussprechliche Seelenruhe und Unterricht des Heilandes. Studiren ganz weglegen war mir sehr auffallend, zumal ich nicht wußte, ob der gute Mann jemalen was ernstliches gelernt haͤtte; ich hatte schon ehedem Weigels Ausschweifungen wider Schulen und Universitaͤten kennen lernen. Allein es entstunde doch eine seltsame Unruhe in mir; ein aͤngstliches Misfallen an mir selbst, an allen noch so rechtmaͤßigen oder unschuldigen Handlungen; ich fieng an, eine innere Stille und Unthaͤtigkeit mir zu wuͤnschen; und hatte noch nichts von Molinos oder neuern Mystikern gelesen. Krause half dazu, um, wie er meinte, mich vollend zur Uebergabe zu bringen; allein eben die Lage, da man mir nie Sachen oder ihre kenntlichen Beschreibungen, sondern stets Tropen und viele sinnliche Bilder vorlegte, machte, das ich mich nie davon uͤberzeugen konnte, ich haͤtte nun die Gnade; denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/106
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/106>, abgerufen am 24.11.2024.