Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.Diese haben gleichwol mehr Realität und ganz gewiß große gemeinnützige Wahrheiten zum Jnhalte; aber es muste alles neu seyn. Jch untersuchte mich aufs alleraufrichtigste, ob ich wissentlich noch einer geistlichen Unart nachhienge, oder einen Bann behielte; ich besann mich, daß ich zwei oder dreimal einen Sechser behalten, und einen Pfennig oder Dreier dafür in die Armenbüchse des Sonntags gesteckt hatte. Jch sagte es meinem Vater und bat um so viel Groschen, die ich nächstens mit großer Freude einsteckte; und ich freute mich schon darauf, wenn ich auf der Universität mir würde etwas abziehen können, um es frommen Armen zu geben. Noch entdeckte ich, bei Erblickung eines kleinen Buchs, daß ich dieß einmal bloß eingesteckt, und der Schusterfrau unter den Läden, nicht mit andern aufgewiesen hätte. Sie war freilich mit dem dafür überlieferten großen Papier überflüßig vergnügt; aber ich überwand mich, das Buch ihr selbst zu zeigen, ich hätte es damalen nicht mitgezählet, da sollte sie dieß Papier noch dafür annehmen. Sie bot mir an, dafür fünf bis sechs Bücher noch auszusuchen; aber ich that es nicht. Meine Aengstlichkeit litte es nicht. Jch hatte aus unvorsichtigen lateinischen und griechischen Asceten, würklich Principia von eigener Büssung und Genugthuung im Kopfe; Diese haben gleichwol mehr Realitaͤt und ganz gewiß große gemeinnuͤtzige Wahrheiten zum Jnhalte; aber es muste alles neu seyn. Jch untersuchte mich aufs alleraufrichtigste, ob ich wissentlich noch einer geistlichen Unart nachhienge, oder einen Bann behielte; ich besann mich, daß ich zwei oder dreimal einen Sechser behalten, und einen Pfennig oder Dreier dafuͤr in die Armenbuͤchse des Sonntags gesteckt hatte. Jch sagte es meinem Vater und bat um so viel Groschen, die ich naͤchstens mit großer Freude einsteckte; und ich freute mich schon darauf, wenn ich auf der Universitaͤt mir wuͤrde etwas abziehen koͤnnen, um es frommen Armen zu geben. Noch entdeckte ich, bei Erblickung eines kleinen Buchs, daß ich dieß einmal bloß eingesteckt, und der Schusterfrau unter den Laͤden, nicht mit andern aufgewiesen haͤtte. Sie war freilich mit dem dafuͤr uͤberlieferten großen Papier uͤberfluͤßig vergnuͤgt; aber ich uͤberwand mich, das Buch ihr selbst zu zeigen, ich haͤtte es damalen nicht mitgezaͤhlet, da sollte sie dieß Papier noch dafuͤr annehmen. Sie bot mir an, dafuͤr fuͤnf bis sechs Buͤcher noch auszusuchen; aber ich that es nicht. Meine Aengstlichkeit litte es nicht. Jch hatte aus unvorsichtigen lateinischen und griechischen Asceten, wuͤrklich Principia von eigener Buͤssung und Genugthuung im Kopfe; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <floatingText> <body> <div> <pb facs="#f0104" n="102"/><lb/> <p>Diese haben gleichwol mehr Realitaͤt und ganz gewiß große gemeinnuͤtzige Wahrheiten zum Jnhalte; aber es muste alles neu seyn. </p> <p>Jch untersuchte mich aufs alleraufrichtigste, ob ich wissentlich noch einer geistlichen Unart nachhienge, oder einen Bann behielte; ich besann mich, daß ich zwei oder dreimal einen Sechser behalten, und einen Pfennig oder Dreier dafuͤr in die Armenbuͤchse des Sonntags gesteckt hatte. </p> <p>Jch sagte es meinem Vater und bat um so viel Groschen, die ich naͤchstens mit großer Freude einsteckte; und ich freute mich schon darauf, wenn ich auf der Universitaͤt mir wuͤrde etwas abziehen koͤnnen, um es frommen Armen zu geben. </p> <p>Noch entdeckte ich, bei Erblickung eines kleinen Buchs, daß ich dieß einmal bloß eingesteckt, und der Schusterfrau unter den Laͤden, nicht mit andern aufgewiesen haͤtte. </p> <p>Sie war freilich mit dem dafuͤr uͤberlieferten großen Papier uͤberfluͤßig vergnuͤgt; aber ich uͤberwand mich, das Buch ihr selbst zu zeigen, ich haͤtte es damalen nicht mitgezaͤhlet, da sollte sie dieß Papier noch dafuͤr annehmen. </p> <p>Sie bot mir an, dafuͤr fuͤnf bis sechs Buͤcher noch auszusuchen; aber ich that es nicht. Meine Aengstlichkeit litte es nicht. </p> <p>Jch hatte aus unvorsichtigen <hi rendition="#b">lateinischen</hi> und <hi rendition="#b">griechischen Asceten,</hi> wuͤrklich Principia von <hi rendition="#b">eigener Buͤssung und Genugthuung</hi> im Kopfe;<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0104]
Diese haben gleichwol mehr Realitaͤt und ganz gewiß große gemeinnuͤtzige Wahrheiten zum Jnhalte; aber es muste alles neu seyn.
Jch untersuchte mich aufs alleraufrichtigste, ob ich wissentlich noch einer geistlichen Unart nachhienge, oder einen Bann behielte; ich besann mich, daß ich zwei oder dreimal einen Sechser behalten, und einen Pfennig oder Dreier dafuͤr in die Armenbuͤchse des Sonntags gesteckt hatte.
Jch sagte es meinem Vater und bat um so viel Groschen, die ich naͤchstens mit großer Freude einsteckte; und ich freute mich schon darauf, wenn ich auf der Universitaͤt mir wuͤrde etwas abziehen koͤnnen, um es frommen Armen zu geben.
Noch entdeckte ich, bei Erblickung eines kleinen Buchs, daß ich dieß einmal bloß eingesteckt, und der Schusterfrau unter den Laͤden, nicht mit andern aufgewiesen haͤtte.
Sie war freilich mit dem dafuͤr uͤberlieferten großen Papier uͤberfluͤßig vergnuͤgt; aber ich uͤberwand mich, das Buch ihr selbst zu zeigen, ich haͤtte es damalen nicht mitgezaͤhlet, da sollte sie dieß Papier noch dafuͤr annehmen.
Sie bot mir an, dafuͤr fuͤnf bis sechs Buͤcher noch auszusuchen; aber ich that es nicht. Meine Aengstlichkeit litte es nicht.
Jch hatte aus unvorsichtigen lateinischen und griechischen Asceten, wuͤrklich Principia von eigener Buͤssung und Genugthuung im Kopfe;
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/104>, abgerufen am 16.02.2025. |