ich mir keine erste Ursach, oder keinen ersten
Anstoß irgend eines freien und handelnden Wesens bei die- ser
Naturverändrung denke.
Jch höre wohl, daß es donnert, aber wer oder was das Donnern aus eigner Kraft hervor- bringt, weiß ich nicht: denn bis
auf die erste wir- kende Ursach desselben kann ich nicht zurückgehn,
und die Gewitterwolken, als die nähere Ursach, kann ich mir
unmöglich als handelnde Wesen denken, drum sage ich nie, im
eigentlichen Verstande: der Himmel donnert oder die Wolken
donnern, sondern, es donnert.
Woher mag es aber kommen, daß es der unpersönlichen Zeitwörter in
der Sprache verhält- nißmäßig nur so wenige giebt, da wir uns
doch bei so vielen tausend Verändrungen und Erscheinun- gen in uns
und um uns her keiner handelnden Person bewußt sind, welche dieselben
hervorbringt? Man sollte denken, daß die meisten Zeitwörter
eigentlich unpersönliche seyn müßten: allein weil bei
uns jede Vorstellung äußerer Gegenstände erst durch
die Vorstellung von uns selber oder von unserm Jch gleichsam durchgehn
muß; und wir daher als leben- de und denkende Wesen der leblosen Natur so
gern unser Bild eindrücken; so ist es kein Wunder, wenn wir uns
dasjenige, was eigentlich bloße Ver- änderungen und Erscheinungen
sind, als Handlun-
gen,
ich mir keine erste Ursach, oder keinen ersten
Anstoß irgend eines freien und handelnden Wesens bei die- ser
Naturveraͤndrung denke.
Jch hoͤre wohl, daß es donnert, aber wer oder was das Donnern aus eigner Kraft hervor- bringt, weiß ich nicht: denn bis
auf die erste wir- kende Ursach desselben kann ich nicht zuruͤckgehn,
und die Gewitterwolken, als die naͤhere Ursach, kann ich mir
unmoͤglich als handelnde Wesen denken, drum sage ich nie, im
eigentlichen Verstande: der Himmel donnert oder die Wolken
donnern, sondern, es donnert.
Woher mag es aber kommen, daß es der unpersoͤnlichen Zeitwoͤrter in
der Sprache verhaͤlt- nißmaͤßig nur so wenige giebt, da wir uns
doch bei so vielen tausend Veraͤndrungen und Erscheinun- gen in uns
und um uns her keiner handelnden Person bewußt sind, welche dieselben
hervorbringt? Man sollte denken, daß die meisten Zeitwoͤrter
eigentlich unpersoͤnliche seyn muͤßten: allein weil bei
uns jede Vorstellung aͤußerer Gegenstaͤnde erst durch
die Vorstellung von uns selber oder von unserm Jch gleichsam durchgehn
muß; und wir daher als leben- de und denkende Wesen der leblosen Natur so
gern unser Bild eindruͤcken; so ist es kein Wunder, wenn wir uns
dasjenige, was eigentlich bloße Ver- aͤnderungen und Erscheinungen
sind, als Handlun-
gen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0099"n="95"/>
ich mir keine erste Ursach, oder keinen ersten
Anstoß<lb/>
irgend eines freien und handelnden Wesens bei die-<lb/>
ser
Naturveraͤndrung denke.</p><lb/><p>Jch hoͤre wohl, daß es donnert, aber wer<lb/>
oder was das Donnern aus <hirendition="#b">eigner Kraft</hi> hervor-<lb/>
bringt, weiß ich nicht: denn bis
auf die erste wir-<lb/>
kende Ursach desselben kann ich nicht zuruͤckgehn,
und<lb/>
die Gewitterwolken, als die naͤhere Ursach, kann<lb/>
ich mir
unmoͤglich als handelnde Wesen denken,<lb/>
drum sage ich nie, im
eigentlichen Verstande: <hirendition="#b">der<lb/>
Himmel donnert oder die Wolken
donnern,<lb/>
sondern, es donnert.</hi></p><lb/><p>Woher mag es aber kommen, daß es der<lb/>
unpersoͤnlichen Zeitwoͤrter in
der Sprache verhaͤlt-<lb/>
nißmaͤßig nur so wenige giebt, da wir uns
doch bei<lb/>
so vielen tausend Veraͤndrungen und Erscheinun-<lb/>
gen in uns
und um uns her keiner handelnden Person<lb/>
bewußt sind, welche dieselben
hervorbringt? Man<lb/>
sollte denken, daß die meisten Zeitwoͤrter
eigentlich<lb/>
unpersoͤnliche seyn muͤßten: allein weil bei
uns<lb/>
jede Vorstellung aͤußerer Gegenstaͤnde erst durch
die<lb/>
Vorstellung von uns selber oder von unserm Jch<lb/>
gleichsam durchgehn
muß; und wir daher als leben-<lb/>
de und denkende Wesen der leblosen Natur so
gern<lb/>
unser Bild eindruͤcken; so ist es kein Wunder,<lb/>
wenn wir uns
dasjenige, was eigentlich bloße Ver-<lb/>
aͤnderungen und Erscheinungen
sind, als Handlun-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gen,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0099]
ich mir keine erste Ursach, oder keinen ersten Anstoß
irgend eines freien und handelnden Wesens bei die-
ser Naturveraͤndrung denke.
Jch hoͤre wohl, daß es donnert, aber wer
oder was das Donnern aus eigner Kraft hervor-
bringt, weiß ich nicht: denn bis auf die erste wir-
kende Ursach desselben kann ich nicht zuruͤckgehn, und
die Gewitterwolken, als die naͤhere Ursach, kann
ich mir unmoͤglich als handelnde Wesen denken,
drum sage ich nie, im eigentlichen Verstande: der
Himmel donnert oder die Wolken donnern,
sondern, es donnert.
Woher mag es aber kommen, daß es der
unpersoͤnlichen Zeitwoͤrter in der Sprache verhaͤlt-
nißmaͤßig nur so wenige giebt, da wir uns doch bei
so vielen tausend Veraͤndrungen und Erscheinun-
gen in uns und um uns her keiner handelnden Person
bewußt sind, welche dieselben hervorbringt? Man
sollte denken, daß die meisten Zeitwoͤrter eigentlich
unpersoͤnliche seyn muͤßten: allein weil bei uns
jede Vorstellung aͤußerer Gegenstaͤnde erst durch die
Vorstellung von uns selber oder von unserm Jch
gleichsam durchgehn muß; und wir daher als leben-
de und denkende Wesen der leblosen Natur so gern
unser Bild eindruͤcken; so ist es kein Wunder,
wenn wir uns dasjenige, was eigentlich bloße Ver-
aͤnderungen und Erscheinungen sind, als Handlun-
gen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2013-06-06T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-06-06T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/99>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.