Jch sank dann öfters ganz ermattet zurück auf die Lehne des Stuhls;
es war, als sollt' ich in den tiefsten Abgrund versinken. Die erste
Hälfte der Nächte bracht' ich gewöhnlich in
Unruh zu, bis end- lich ein gütiger Schlaf meinen Plagegeist von
mir scheuchte. Jch war zu gleicher Zeit nicht vermö- gend, meinen
Zustand irgend jemanden zu entdecken. Jch konnte unmöglich davon
reden, oder auch nur das bloße Wort Schlag
aussprechen.
Es traf sich, daß einigemal in Gesellschaft, wo ich zugegen war, davon gesprochen
wurde, und mich ergrif sogleich die quälendste Bangigkeit. Jch entfernte
mich alsbald, und gab nur zu verstehn, man möchte meiner schonen, und nicht
mehr davon sprechen, doch ohne mich im geringsten weiter
zu erklären.
Endlich nach Jahres Frist wurde ich allmälig aus diesem unseeligen Zustande
wieder herausgeris- sen. Noch muß ich bemerken, daß zu Anfange desselben
überhaupt eine zu einförmige Lebensart, zu wenige Abwechslung
in meinen wissenschaftlichen Beschäftigungen, und Misvergnügen
über mich selbst, wenn ich in Kenntnissen nicht die Fortschritte
zu machen glaubte, die ich wünschte, ferner anhaltendes Sitzen und
zu wenige Bewegung in freier Luft, mei- nen Geist trüber und
finsterer, mithin für Ausar- tungen der Einbildungskraft
empfänglicher, ge- macht, in meinem Körper aber ein schwarzes
Blut,
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Jch sank dann oͤfters ganz ermattet zuruͤck auf die Lehne des Stuhls;
es war, als sollt' ich in den tiefsten Abgrund versinken. Die erste
Haͤlfte der Naͤchte bracht' ich gewoͤhnlich in
Unruh zu, bis end- lich ein guͤtiger Schlaf meinen Plagegeist von
mir scheuchte. Jch war zu gleicher Zeit nicht vermoͤ- gend, meinen
Zustand irgend jemanden zu entdecken. Jch konnte unmoͤglich davon
reden, oder auch nur das bloße Wort Schlag
aussprechen.
Es traf sich, daß einigemal in Gesellschaft, wo ich zugegen war, davon gesprochen
wurde, und mich ergrif sogleich die quaͤlendste Bangigkeit. Jch entfernte
mich alsbald, und gab nur zu verstehn, man moͤchte meiner schonen, und nicht
mehr davon sprechen, doch ohne mich im geringsten weiter
zu erklaͤren.
Endlich nach Jahres Frist wurde ich allmaͤlig aus diesem unseeligen Zustande
wieder herausgeris- sen. Noch muß ich bemerken, daß zu Anfange desselben
uͤberhaupt eine zu einfoͤrmige Lebensart, zu wenige Abwechslung
in meinen wissenschaftlichen Beschaͤftigungen, und Misvergnuͤgen
uͤber mich selbst, wenn ich in Kenntnissen nicht die Fortschritte
zu machen glaubte, die ich wuͤnschte, ferner anhaltendes Sitzen und
zu wenige Bewegung in freier Luft, mei- nen Geist truͤber und
finsterer, mithin fuͤr Ausar- tungen der Einbildungskraft
empfaͤnglicher, ge- macht, in meinem Koͤrper aber ein schwarzes
Blut,
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Jch sank dann oͤfters ganz ermattet zuruͤck auf
die Lehne des Stuhls; es war, als sollt' ich in den
tiefsten Abgrund versinken. Die erste Haͤlfte der
Naͤchte bracht' ich gewoͤhnlich in Unruh zu, bis end-
lich ein guͤtiger Schlaf meinen Plagegeist von mir
scheuchte. Jch war zu gleicher Zeit nicht vermoͤ-
gend, meinen Zustand irgend jemanden zu entdecken.
Jch konnte unmoͤglich davon reden, oder auch nur
das bloße Wort Schlag aussprechen.
Es traf sich, daß einigemal in Gesellschaft,
wo ich zugegen war, davon gesprochen wurde, und
mich ergrif sogleich die quaͤlendste Bangigkeit. Jch
entfernte mich alsbald, und gab nur zu verstehn,
man moͤchte meiner schonen, und nicht mehr davon
sprechen, doch ohne mich im geringsten weiter zu
erklaͤren.
Endlich nach Jahres Frist wurde ich allmaͤlig
aus diesem unseeligen Zustande wieder herausgeris-
sen. Noch muß ich bemerken, daß zu Anfange
desselben uͤberhaupt eine zu einfoͤrmige Lebensart,
zu wenige Abwechslung in meinen wissenschaftlichen
Beschaͤftigungen, und Misvergnuͤgen uͤber mich selbst,
wenn ich in Kenntnissen nicht die Fortschritte zu
machen glaubte, die ich wuͤnschte, ferner anhaltendes
Sitzen und zu wenige Bewegung in freier Luft, mei-
nen Geist truͤber und finsterer, mithin fuͤr Ausar-
tungen der Einbildungskraft empfaͤnglicher, ge-
macht, in meinem Koͤrper aber ein schwarzes
Blut,
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Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/93>, abgerufen am 16.07.2024.
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