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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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quer über die Straße von unserm zu jenem Hause
hin und wieder. Ein ansehnlicher Mann kam in
der Mitte der Straße dahergegangen, und ich
rannte ihm gerade auf den Leib. Nun weiß ich
noch ganz genau, wie ich gegen diesen Mann an-
fing mit beiden Händen auszuschlagen, weil ich
glaubte, er habe mir Unrecht gethan, da ich doch
im Grunde der beleidigende Theil war.

Nicht weit von uns gegenüber wohnte der Gar-
nisonprediger, in dessen Garten meine Brüder oft
mit mir spatzieren gingen. Von diesem Garten
kann ich mich weiter nichts, als der grünen Wein-
ranken an den Seiten erinnern. -- Die Eindrücke
großer sichtbarer Gegenstände, als der Thür-
me, Kirchen, des Umfanges der Häuser, u. s. w.
sind von diesen Zeiten her gänzlich aus meinem Ge-
dächtniß verwischt, und haben nicht die mindeste
Spur zurückgelassen, nur das scheinet mir noch sehr
klar zu seyn, daß unsre Hausthüre weit größer
war, als die des gegenüberstehenden Hauses.

Jn der kindischen Einbildungskraft stel-
len sich die kleinen Gegenstände viel größer
dar, als sie sind, und die großen faßt sie nicht.

Erinnerungen aus den frühesten Jah-
ren der Kindheit von mehrern Personen ne-
beneinander gestellt, würden vielleicht erwei-

sen,

quer uͤber die Straße von unserm zu jenem Hause
hin und wieder. Ein ansehnlicher Mann kam in
der Mitte der Straße dahergegangen, und ich
rannte ihm gerade auf den Leib. Nun weiß ich
noch ganz genau, wie ich gegen diesen Mann an-
fing mit beiden Haͤnden auszuschlagen, weil ich
glaubte, er habe mir Unrecht gethan, da ich doch
im Grunde der beleidigende Theil war.

Nicht weit von uns gegenuͤber wohnte der Gar-
nisonprediger, in dessen Garten meine Bruͤder oft
mit mir spatzieren gingen. Von diesem Garten
kann ich mich weiter nichts, als der gruͤnen Wein-
ranken an den Seiten erinnern. — Die Eindruͤcke
großer sichtbarer Gegenstaͤnde, als der Thuͤr-
me, Kirchen, des Umfanges der Haͤuser, u. s. w.
sind von diesen Zeiten her gaͤnzlich aus meinem Ge-
daͤchtniß verwischt, und haben nicht die mindeste
Spur zuruͤckgelassen, nur das scheinet mir noch sehr
klar zu seyn, daß unsre Hausthuͤre weit groͤßer
war, als die des gegenuͤberstehenden Hauses.

Jn der kindischen Einbildungskraft stel-
len sich die kleinen Gegenstaͤnde viel groͤßer
dar, als sie sind, und die großen faßt sie nicht.

Erinnerungen aus den fruͤhesten Jah-
ren der Kindheit von mehrern Personen ne-
beneinander gestellt, wuͤrden vielleicht erwei-

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[68/0072] quer uͤber die Straße von unserm zu jenem Hause hin und wieder. Ein ansehnlicher Mann kam in der Mitte der Straße dahergegangen, und ich rannte ihm gerade auf den Leib. Nun weiß ich noch ganz genau, wie ich gegen diesen Mann an- fing mit beiden Haͤnden auszuschlagen, weil ich glaubte, er habe mir Unrecht gethan, da ich doch im Grunde der beleidigende Theil war. Nicht weit von uns gegenuͤber wohnte der Gar- nisonprediger, in dessen Garten meine Bruͤder oft mit mir spatzieren gingen. Von diesem Garten kann ich mich weiter nichts, als der gruͤnen Wein- ranken an den Seiten erinnern. — Die Eindruͤcke großer sichtbarer Gegenstaͤnde, als der Thuͤr- me, Kirchen, des Umfanges der Haͤuser, u. s. w. sind von diesen Zeiten her gaͤnzlich aus meinem Ge- daͤchtniß verwischt, und haben nicht die mindeste Spur zuruͤckgelassen, nur das scheinet mir noch sehr klar zu seyn, daß unsre Hausthuͤre weit groͤßer war, als die des gegenuͤberstehenden Hauses. Jn der kindischen Einbildungskraft stel- len sich die kleinen Gegenstaͤnde viel groͤßer dar, als sie sind, und die großen faßt sie nicht. Erinnerungen aus den fruͤhesten Jah- ren der Kindheit von mehrern Personen ne- beneinander gestellt, wuͤrden vielleicht erwei- sen,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/72>, abgerufen am 26.11.2024.