Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

werde aber demohngeachtet nunmehro meine Lektio-
nen von neuen mit ihm anfangen, und meine Beob-
achtungen über ihn fortsetzen, um sie in der Folge
in diesem Magazine ebenfalls bekannt zu machen.

Noch muß ich, das Gedächtniß dieses Taub-
stummen betreffend, hinzufügen, daß er sich nach
geraumer Zeit des Vergangnen sehr lebhaft erinnern
kann, wie aus folgenden Umstande erhellet.

Vor einem Jahre lief er noch wild auf der
Straße herum, und da ich einmal mit einem jun-
gen Menschen auf einem Kahne fuhr, half er nebst
noch einem Knaben für Geld mit rudern, indeß ich
mit dem jungen Menschen auf dem Kahne in einem
Buche las. Dieser junge Mensch besuchte mich
einmal, und ich fing an, im Beiseyn des Taub-
stummen, mit ihm in einem Buche zu lesen, als
dieser sich sogleich an alle Umstände des Kahnfah-
rens zurückerinnerte, und uns durch viele, sehr
verständliche Zeichen seine Jdeen deutlich machte.

Seine Einbildungskraft ist stark und richtig.
Er bezeichnet fast alle Leute, die er gesehen hat,
durch Miene und Gang.

Dabei ist zugleich seine Beurtheilungskraft
so gut, daß ihm nicht leicht jemand ein Blendwerk
vormachen, oder ihm, durch etwas einen leeren

Schreck

werde aber demohngeachtet nunmehro meine Lektio-
nen von neuen mit ihm anfangen, und meine Beob-
achtungen uͤber ihn fortsetzen, um sie in der Folge
in diesem Magazine ebenfalls bekannt zu machen.

Noch muß ich, das Gedaͤchtniß dieses Taub-
stummen betreffend, hinzufuͤgen, daß er sich nach
geraumer Zeit des Vergangnen sehr lebhaft erinnern
kann, wie aus folgenden Umstande erhellet.

Vor einem Jahre lief er noch wild auf der
Straße herum, und da ich einmal mit einem jun-
gen Menschen auf einem Kahne fuhr, half er nebst
noch einem Knaben fuͤr Geld mit rudern, indeß ich
mit dem jungen Menschen auf dem Kahne in einem
Buche las. Dieser junge Mensch besuchte mich
einmal, und ich fing an, im Beiseyn des Taub-
stummen, mit ihm in einem Buche zu lesen, als
dieser sich sogleich an alle Umstaͤnde des Kahnfah-
rens zuruͤckerinnerte, und uns durch viele, sehr
verstaͤndliche Zeichen seine Jdeen deutlich machte.

Seine Einbildungskraft ist stark und richtig.
Er bezeichnet fast alle Leute, die er gesehen hat,
durch Miene und Gang.

Dabei ist zugleich seine Beurtheilungskraft
so gut, daß ihm nicht leicht jemand ein Blendwerk
vormachen, oder ihm, durch etwas einen leeren

Schreck
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="43"/>
werde aber demohngeachtet nunmehro meine Lektio-<lb/>
nen
                   von neuen mit ihm anfangen, und meine Beob-<lb/>
achtungen u&#x0364;ber ihn
                   fortsetzen, um sie in der Folge<lb/>
in diesem Magazine ebenfalls bekannt zu
                   machen.</p><lb/>
          <p>Noch muß ich, das Geda&#x0364;chtniß dieses Taub-<lb/>
stummen betreffend,
                   hinzufu&#x0364;gen, daß er sich nach<lb/>
geraumer Zeit des Vergangnen sehr lebhaft
                   erinnern<lb/>
kann, wie aus folgenden Umstande erhellet.</p><lb/>
          <p>Vor einem Jahre lief er noch wild auf der<lb/>
Straße herum, und da ich einmal mit einem
                   jun-<lb/>
gen Menschen auf einem Kahne fuhr, half er nebst<lb/>
noch einem Knaben
                   fu&#x0364;r Geld mit rudern, indeß ich<lb/>
mit dem jungen Menschen auf dem Kahne
                   in einem<lb/>
Buche las. Dieser junge Mensch besuchte mich<lb/>
einmal, und ich fing
                   an, im Beiseyn des Taub-<lb/>
stummen, mit ihm in einem Buche zu lesen,
                   als<lb/>
dieser sich sogleich an alle Umsta&#x0364;nde des Kahnfah-<lb/>
rens
                   zuru&#x0364;ckerinnerte, und uns durch viele, sehr<lb/>
versta&#x0364;ndliche
                   Zeichen seine Jdeen deutlich machte.</p><lb/>
          <p>Seine Einbildungskraft ist stark und richtig.<lb/>
Er bezeichnet fast alle Leute, die er
             gesehen hat,<lb/>
durch Miene und Gang.</p><lb/>
          <p>Dabei ist zugleich seine Beurtheilungskraft<lb/>
so gut, daß ihm nicht leicht jemand ein
                   Blendwerk<lb/>
vormachen, oder ihm, durch etwas einen leeren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schreck</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0047] werde aber demohngeachtet nunmehro meine Lektio- nen von neuen mit ihm anfangen, und meine Beob- achtungen uͤber ihn fortsetzen, um sie in der Folge in diesem Magazine ebenfalls bekannt zu machen. Noch muß ich, das Gedaͤchtniß dieses Taub- stummen betreffend, hinzufuͤgen, daß er sich nach geraumer Zeit des Vergangnen sehr lebhaft erinnern kann, wie aus folgenden Umstande erhellet. Vor einem Jahre lief er noch wild auf der Straße herum, und da ich einmal mit einem jun- gen Menschen auf einem Kahne fuhr, half er nebst noch einem Knaben fuͤr Geld mit rudern, indeß ich mit dem jungen Menschen auf dem Kahne in einem Buche las. Dieser junge Mensch besuchte mich einmal, und ich fing an, im Beiseyn des Taub- stummen, mit ihm in einem Buche zu lesen, als dieser sich sogleich an alle Umstaͤnde des Kahnfah- rens zuruͤckerinnerte, und uns durch viele, sehr verstaͤndliche Zeichen seine Jdeen deutlich machte. Seine Einbildungskraft ist stark und richtig. Er bezeichnet fast alle Leute, die er gesehen hat, durch Miene und Gang. Dabei ist zugleich seine Beurtheilungskraft so gut, daß ihm nicht leicht jemand ein Blendwerk vormachen, oder ihm, durch etwas einen leeren Schreck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/47
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/47>, abgerufen am 24.11.2024.