wiederholet hat, sein Leben so satt gehabt,
überdem auch befürchten müssen, daß, wenn er sich
wieder sehen ließe, er gleich einem Deserteur bestraft wer- den
möchte, so entschließt er sich, weil er
ge- hört hatte, daß ein Mensch nicht über neun Tage
hungern könne, Hungers zu sterben. Vierzehn Tage nachher geht
der Tobackspinner auf seinen Boden, und findet diesen Menschen unter den
Tobacksblättern ganz entkräftet liegen. Es wurden sogleich
Veranstaltungen gemacht, ihn durch Suppen wieder aufzuhelfen, allein sein
Magen ist so erschlafft gewesen, daß es sehr schwer gehalten hat, ihm
einige Speisen aufzudringen. Auf Befra- gen, wie es möglich gewesen
wäre, so lange zu leben, ohne das geringste von Nahrung zu sich
zu nehmen? Erwiederte er: die ersten acht Tage habe ihm sehr gehungert.
Zweimal habe er, um seinen Durst zu löschen, sein eigen Wasser
getrunken, und einmal habe er, als es etwas geschneiet,
Schnee aufgefangen, und den zu sich genommen; hernach aber sei er zu
ohnmächtig geworden, als daß er noch einige von diesen
Bedürfnissen habe empfinden können. Nachdem er in den
gehaltenen Verhören alles, es mochte zur Milderung
seiner Strafe ge- reichen oder nicht, gestanden, welches er auch in der
Folge treulich beobachtet hat, so ward er sei- ner
schwächlichen Gesundheitsumstände wegen, die durch das lange
Hungern ganz zerrüttet waren, ins Lazareth gebracht. Hier hatte er
bereits einen Mo-
nath
wiederholet hat, sein Leben so satt gehabt,
uͤberdem auch befuͤrchten muͤssen, daß, wenn er sich
wieder sehen ließe, er gleich einem Deserteur bestraft wer- den
moͤchte, so entschließt er sich, weil er
ge- hoͤrt hatte, daß ein Mensch nicht uͤber neun Tage
hungern koͤnne, Hungers zu sterben. Vierzehn Tage nachher geht
der Tobackspinner auf seinen Boden, und findet diesen Menschen unter den
Tobacksblaͤttern ganz entkraͤftet liegen. Es wurden sogleich
Veranstaltungen gemacht, ihn durch Suppen wieder aufzuhelfen, allein sein
Magen ist so erschlafft gewesen, daß es sehr schwer gehalten hat, ihm
einige Speisen aufzudringen. Auf Befra- gen, wie es moͤglich gewesen
waͤre, so lange zu leben, ohne das geringste von Nahrung zu sich
zu nehmen? Erwiederte er: die ersten acht Tage habe ihm sehr gehungert.
Zweimal habe er, um seinen Durst zu loͤschen, sein eigen Wasser
getrunken, und einmal habe er, als es etwas geschneiet,
Schnee aufgefangen, und den zu sich genommen; hernach aber sei er zu
ohnmaͤchtig geworden, als daß er noch einige von diesen
Beduͤrfnissen habe empfinden koͤnnen. Nachdem er in den
gehaltenen Verhoͤren alles, es mochte zur Milderung
seiner Strafe ge- reichen oder nicht, gestanden, welches er auch in der
Folge treulich beobachtet hat, so ward er sei- ner
schwaͤchlichen Gesundheitsumstaͤnde wegen, die durch das lange
Hungern ganz zerruͤttet waren, ins Lazareth gebracht. Hier hatte er
bereits einen Mo-
nath
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0022"n="18"/>
wiederholet hat, sein Leben so satt gehabt,
uͤberdem<lb/>
auch befuͤrchten muͤssen, daß, wenn er sich
wieder<lb/>
sehen ließe, er gleich einem Deserteur bestraft wer-<lb/>
den
moͤchte, <hirendition="#b">so entschließt er sich, weil er
ge-<lb/>
hoͤrt hatte, daß ein Mensch nicht uͤber neun<lb/>
Tage
hungern koͤnne, Hungers zu sterben.</hi><lb/>
Vierzehn Tage nachher geht
der Tobackspinner auf<lb/>
seinen Boden, und findet diesen Menschen unter<lb/>
den
Tobacksblaͤttern ganz entkraͤftet liegen. Es<lb/>
wurden sogleich
Veranstaltungen gemacht, ihn durch<lb/>
Suppen wieder aufzuhelfen, allein sein
Magen ist<lb/>
so erschlafft gewesen, daß es sehr schwer gehalten<lb/>
hat, ihm
einige Speisen aufzudringen. Auf Befra-<lb/>
gen, wie es moͤglich gewesen
waͤre, so lange zu<lb/>
leben, ohne das geringste von Nahrung zu sich
zu<lb/>
nehmen? Erwiederte er: die ersten acht Tage habe<lb/>
ihm sehr gehungert.
Zweimal habe er, um seinen<lb/>
Durst zu loͤschen, sein eigen Wasser
getrunken, und<lb/>
einmal habe er, als es etwas geschneiet,
Schnee<lb/>
aufgefangen, und den zu sich genommen; hernach<lb/>
aber sei er zu
ohnmaͤchtig geworden, als daß er<lb/>
noch einige von diesen
Beduͤrfnissen habe empfinden<lb/>
koͤnnen. Nachdem er in den
gehaltenen Verhoͤren<lb/><hirendition="#b">alles, es mochte zur Milderung
seiner Strafe ge-<lb/>
reichen oder nicht, gestanden, welches er auch in<lb/>
der
Folge treulich beobachtet hat,</hi> so ward er sei-<lb/>
ner
schwaͤchlichen Gesundheitsumstaͤnde wegen, die<lb/>
durch das lange
Hungern ganz zerruͤttet waren, ins<lb/>
Lazareth gebracht. Hier hatte er
bereits einen Mo-<lb/><fwtype="catch"place="bottom">nath</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[18/0022]
wiederholet hat, sein Leben so satt gehabt, uͤberdem
auch befuͤrchten muͤssen, daß, wenn er sich wieder
sehen ließe, er gleich einem Deserteur bestraft wer-
den moͤchte, so entschließt er sich, weil er ge-
hoͤrt hatte, daß ein Mensch nicht uͤber neun
Tage hungern koͤnne, Hungers zu sterben.
Vierzehn Tage nachher geht der Tobackspinner auf
seinen Boden, und findet diesen Menschen unter
den Tobacksblaͤttern ganz entkraͤftet liegen. Es
wurden sogleich Veranstaltungen gemacht, ihn durch
Suppen wieder aufzuhelfen, allein sein Magen ist
so erschlafft gewesen, daß es sehr schwer gehalten
hat, ihm einige Speisen aufzudringen. Auf Befra-
gen, wie es moͤglich gewesen waͤre, so lange zu
leben, ohne das geringste von Nahrung zu sich zu
nehmen? Erwiederte er: die ersten acht Tage habe
ihm sehr gehungert. Zweimal habe er, um seinen
Durst zu loͤschen, sein eigen Wasser getrunken, und
einmal habe er, als es etwas geschneiet, Schnee
aufgefangen, und den zu sich genommen; hernach
aber sei er zu ohnmaͤchtig geworden, als daß er
noch einige von diesen Beduͤrfnissen habe empfinden
koͤnnen. Nachdem er in den gehaltenen Verhoͤren
alles, es mochte zur Milderung seiner Strafe ge-
reichen oder nicht, gestanden, welches er auch in
der Folge treulich beobachtet hat, so ward er sei-
ner schwaͤchlichen Gesundheitsumstaͤnde wegen, die
durch das lange Hungern ganz zerruͤttet waren, ins
Lazareth gebracht. Hier hatte er bereits einen Mo-
nath
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2013-06-06T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-06-06T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/22>, abgerufen am 02.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.