Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

schränkt, denn nicht einmal die Handlung eines an-
dern kann mich gereuen, da sie mich doch freuen
und wundern kann: wir müßten uns nothwendig
in eines andern Jch verwandeln können, wenn
uns eine seiner Handlungen gereuen sollte.

Daß wir aber bei den unpersönlichen Zeit-
wörtern den Zusammenhang aller unsrer Vorstel-
lungen unter mich begreifen, ist sehr natürlich,
weil dieser Zusammenhang eben unser persönliches
Bewußtseyn, oder dasjenige, was wir unser Jch
nennen, ausmacht. -- Bei den körperlichen Em-
pfindungen aber scheinet dieses mich eine dunkle
Vorstellung von dem ganzen Zusammenhange unsres
Körpers zu enthalten, welcher auf mannichfaltige
Weise zerstört, getrennt, und wieder hergestellt
werden kann; und so wie Verwundrung, Freude,
u. s. w. bloß verschiedne Verhältnisse der Gedanken
gegeneinander sind, so ist auch zu vermuthen, daß
alle körperliche Empfindungen, als Hitze, Frost,
Hunger, Durst, u. s. w. ebenfalls nichts, als die
verschiednen Verhältnisse der körperlichen Theile ge-
geneinander sind, welche sich auf mannichfaltige
Weise einander aufzuheben, zu zerstören, und wie-
derherzustellen suchen.

Da nun hungern, dursten, frieren, u.
s. w. nicht sowohl Resultate von Gedanken, als viel-
mehr von gewissen Verändrungen in meinem Kör-

per

schraͤnkt, denn nicht einmal die Handlung eines an-
dern kann mich gereuen, da sie mich doch freuen
und wundern kann: wir muͤßten uns nothwendig
in eines andern Jch verwandeln koͤnnen, wenn
uns eine seiner Handlungen gereuen sollte.

Daß wir aber bei den unpersoͤnlichen Zeit-
woͤrtern den Zusammenhang aller unsrer Vorstel-
lungen unter mich begreifen, ist sehr natuͤrlich,
weil dieser Zusammenhang eben unser persoͤnliches
Bewußtseyn, oder dasjenige, was wir unser Jch
nennen, ausmacht. — Bei den koͤrperlichen Em-
pfindungen aber scheinet dieses mich eine dunkle
Vorstellung von dem ganzen Zusammenhange unsres
Koͤrpers zu enthalten, welcher auf mannichfaltige
Weise zerstoͤrt, getrennt, und wieder hergestellt
werden kann; und so wie Verwundrung, Freude,
u. s. w. bloß verschiedne Verhaͤltnisse der Gedanken
gegeneinander sind, so ist auch zu vermuthen, daß
alle koͤrperliche Empfindungen, als Hitze, Frost,
Hunger, Durst, u. s. w. ebenfalls nichts, als die
verschiednen Verhaͤltnisse der koͤrperlichen Theile ge-
geneinander sind, welche sich auf mannichfaltige
Weise einander aufzuheben, zu zerstoͤren, und wie-
derherzustellen suchen.

Da nun hungern, dursten, frieren, u.
s. w. nicht sowohl Resultate von Gedanken, als viel-
mehr von gewissen Veraͤndrungen in meinem Koͤr-

per
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="104"/>
schra&#x0364;nkt, denn nicht einmal die Handlung eines
                   an-<lb/>
dern kann mich <hi rendition="#b">gereuen,</hi> da sie mich doch <hi rendition="#b">freuen</hi><lb/>
und <hi rendition="#b">wundern</hi> kann: wir
                   mu&#x0364;ßten uns nothwendig<lb/>
in eines andern <hi rendition="#b">Jch</hi> verwandeln ko&#x0364;nnen, wenn<lb/>
uns eine seiner Handlungen <hi rendition="#b">gereuen</hi> sollte.</p><lb/>
          <p>Daß wir aber bei den unperso&#x0364;nlichen Zeit-<lb/>
wo&#x0364;rtern den Zusammenhang
                   aller unsrer Vorstel-<lb/>
lungen unter <hi rendition="#b">mich</hi> begreifen, ist
                   sehr natu&#x0364;rlich,<lb/>
weil dieser Zusammenhang eben unser
                   perso&#x0364;nliches<lb/>
Bewußtseyn, oder dasjenige, was wir unser <hi rendition="#b">Jch</hi><lb/>
nennen, ausmacht. &#x2014; Bei den ko&#x0364;rperlichen
                   Em-<lb/>
pfindungen aber scheinet dieses <hi rendition="#b">mich</hi> eine
                   dunkle<lb/>
Vorstellung von dem ganzen Zusammenhange unsres<lb/>
Ko&#x0364;rpers zu
                   enthalten, welcher auf mannichfaltige<lb/>
Weise zersto&#x0364;rt, getrennt, und
                   wieder hergestellt<lb/>
werden kann; und so wie Verwundrung, Freude,<lb/>
u. s. w.
                   bloß verschiedne Verha&#x0364;ltnisse der Gedanken<lb/>
gegeneinander sind, so ist
                   auch zu vermuthen, daß<lb/>
alle ko&#x0364;rperliche Empfindungen, als Hitze,
                   Frost,<lb/>
Hunger, Durst, u. s. w. ebenfalls nichts, als die<lb/>
verschiednen
                   Verha&#x0364;ltnisse der ko&#x0364;rperlichen Theile ge-<lb/>
geneinander sind,
                   welche sich auf mannichfaltige<lb/>
Weise einander aufzuheben, zu
                   zersto&#x0364;ren, und wie-<lb/>
derherzustellen suchen.</p><lb/>
          <p>Da nun <hi rendition="#b">hungern, dursten, frieren,</hi> u.<lb/>
s. w. nicht sowohl
                   Resultate von Gedanken, als viel-<lb/>
mehr von gewissen Vera&#x0364;ndrungen in
                   meinem Ko&#x0364;r-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">per</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0108] schraͤnkt, denn nicht einmal die Handlung eines an- dern kann mich gereuen, da sie mich doch freuen und wundern kann: wir muͤßten uns nothwendig in eines andern Jch verwandeln koͤnnen, wenn uns eine seiner Handlungen gereuen sollte. Daß wir aber bei den unpersoͤnlichen Zeit- woͤrtern den Zusammenhang aller unsrer Vorstel- lungen unter mich begreifen, ist sehr natuͤrlich, weil dieser Zusammenhang eben unser persoͤnliches Bewußtseyn, oder dasjenige, was wir unser Jch nennen, ausmacht. — Bei den koͤrperlichen Em- pfindungen aber scheinet dieses mich eine dunkle Vorstellung von dem ganzen Zusammenhange unsres Koͤrpers zu enthalten, welcher auf mannichfaltige Weise zerstoͤrt, getrennt, und wieder hergestellt werden kann; und so wie Verwundrung, Freude, u. s. w. bloß verschiedne Verhaͤltnisse der Gedanken gegeneinander sind, so ist auch zu vermuthen, daß alle koͤrperliche Empfindungen, als Hitze, Frost, Hunger, Durst, u. s. w. ebenfalls nichts, als die verschiednen Verhaͤltnisse der koͤrperlichen Theile ge- geneinander sind, welche sich auf mannichfaltige Weise einander aufzuheben, zu zerstoͤren, und wie- derherzustellen suchen. Da nun hungern, dursten, frieren, u. s. w. nicht sowohl Resultate von Gedanken, als viel- mehr von gewissen Veraͤndrungen in meinem Koͤr- per

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/108
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/108>, abgerufen am 23.11.2024.