den Zusammenhang derer, die ich schon habe, ist es,
was ich Freude nenne. Nun setze ich aber mich selber,
oder mein eignes Jch an die Stelle der Gedanken,
welche durch eine andre Person in mir hervorgebracht sind, und sage, ich freue mich u. s. w. Jch freue
dich aber kann ich deswegen nicht sagen, weil ich mein Jch wohl an die
Stelle meiner eignen Gedanken und Empfindungen, nicht aber eines andern,
setzen kann; um einen andern zu freuen, müßte ich mich in die Gedanken
und Empfindungen desselben gleichsam verwandeln können.
Eben so ist es mit schämen, welches eigent- lich
auch ein unpersönliches Zeitwort seyn sollte, weil es eine bloße
dunkle Empfindung ohne Rücksicht auf die Entstehung oder
Hervorbringung derselben an- zeigt, wie es denn bei den Lateinern auch
unpersön- lich ist. Allein wir setzen ebenfalls unser Jch an die Stelle der Gedanken, deren
Verhältniß gegen andre Gedanken, eben dasjenige ist, was wir Scham
nennen, und scheinen nun das Schämen, als etwas von
uns abhängiges zu betrachten.
Jch schäme mich über mich selber,
hieße daher so viel als: ich selber bin die Ursach
einer Reihe von Vorstellungen, die in mir entstehn, und deren
Verhältniß gegen andre, die schon da sind, dasjenige ist, was ich
Scham nenne; an die Stelle dieser Vorstellungen aber setze ich mich selber,
gleich-
G3
den Zusammenhang derer, die ich schon habe, ist es,
was ich Freude nenne. Nun setze ich aber mich selber,
oder mein eignes Jch an die Stelle der Gedanken,
welche durch eine andre Person in mir hervorgebracht sind, und sage, ich freue mich u. s. w. Jch freue
dich aber kann ich deswegen nicht sagen, weil ich mein Jch wohl an die
Stelle meiner eignen Gedanken und Empfindungen, nicht aber eines andern,
setzen kann; um einen andern zu freuen, muͤßte ich mich in die Gedanken
und Empfindungen desselben gleichsam verwandeln koͤnnen.
Eben so ist es mit schaͤmen, welches eigent- lich
auch ein unpersoͤnliches Zeitwort seyn sollte, weil es eine bloße
dunkle Empfindung ohne Ruͤcksicht auf die Entstehung oder
Hervorbringung derselben an- zeigt, wie es denn bei den Lateinern auch
unpersoͤn- lich ist. Allein wir setzen ebenfalls unser Jch an die Stelle der Gedanken, deren
Verhaͤltniß gegen andre Gedanken, eben dasjenige ist, was wir Scham
nennen, und scheinen nun das Schaͤmen, als etwas von
uns abhaͤngiges zu betrachten.
Jch schaͤme mich uͤber mich selber,
hieße daher so viel als: ich selber bin die Ursach
einer Reihe von Vorstellungen, die in mir entstehn, und deren
Verhaͤltniß gegen andre, die schon da sind, dasjenige ist, was ich
Scham nenne; an die Stelle dieser Vorstellungen aber setze ich mich selber,
gleich-
G3
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den Zusammenhang derer, die ich schon habe, ist
es, was ich Freude nenne. Nun setze ich aber
mich selber, oder mein eignes Jch an die Stelle
der Gedanken, welche durch eine andre Person in
mir hervorgebracht sind, und sage, ich freue mich
u. s. w. Jch freue dich aber kann ich deswegen
nicht sagen, weil ich mein Jch wohl an die Stelle
meiner eignen Gedanken und Empfindungen, nicht
aber eines andern, setzen kann; um einen andern
zu freuen, muͤßte ich mich in die Gedanken und
Empfindungen desselben gleichsam verwandeln koͤnnen.
Eben so ist es mit schaͤmen, welches eigent-
lich auch ein unpersoͤnliches Zeitwort seyn sollte, weil
es eine bloße dunkle Empfindung ohne Ruͤcksicht auf
die Entstehung oder Hervorbringung derselben an-
zeigt, wie es denn bei den Lateinern auch unpersoͤn-
lich ist. Allein wir setzen ebenfalls unser Jch an
die Stelle der Gedanken, deren Verhaͤltniß gegen
andre Gedanken, eben dasjenige ist, was wir
Scham nennen, und scheinen nun das Schaͤmen,
als etwas von uns abhaͤngiges zu betrachten.
Jch schaͤme mich uͤber mich selber, hieße
daher so viel als: ich selber bin die Ursach einer
Reihe von Vorstellungen, die in mir entstehn, und
deren Verhaͤltniß gegen andre, die schon da sind,
dasjenige ist, was ich Scham nenne; an die Stelle
dieser Vorstellungen aber setze ich mich selber,
gleich-
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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/105>, abgerufen am 17.07.2024.
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