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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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das von uns abhängt, das Schläfern hingegen,
als etwas, wovon wir abhängen: denn wenn wir
gleich nicht wider Willen schlafen werden, so kann
es uns doch wider Willen schläfern. Auch können
wir wohl sagen, ich will schlafen, aber niemals,
ich will schläfern.

Wenn wir aber nun sagen, es frieret mich,
es hungert mich, es dürstet mich, es schläfert
mich
u. s. w., so denken wir uns unter dem es
eigentlich weiter nichts, als das Frieren, Hungern,
Dürsten, und Schläfern selber. Allein dieses schei-
net nicht bei den unpersönlichen Zeitwörtern einzu-
treffen, welche von uns unabhängige Verändrun-
gen in unsrer Seele anzeigen: wir sagen z. B. es
freuet mich, es wundert mich, es gereuet mich,
es schmerzt mich, es verdrießt mich,
und wir
denken uns unter dem es nicht nur das freuen,
wundern, gereuen,
u. s. w. selber, sondern das-
jenige, was
uns freuet, wundert oder gereuet.
Daher können wir auch das es bei diesen Wörtern
nicht füglich weglassen: wir können wohl sagen,
mich hungert, mich dürstet, aber was würde
es heißen, wenn ich sagen wollte, mich freuet,
mich wundert,
ohne noch etwas hinzuzusetzen,
was mich freuete oder wunderte.

Wenn ich also sage, es freuet mich, daß
mein Freund wieder gesund ist,
so ist der ganze

Ge-

das von uns abhaͤngt, das Schlaͤfern hingegen,
als etwas, wovon wir abhaͤngen: denn wenn wir
gleich nicht wider Willen schlafen werden, so kann
es uns doch wider Willen schlaͤfern. Auch koͤnnen
wir wohl sagen, ich will schlafen, aber niemals,
ich will schlaͤfern.

Wenn wir aber nun sagen, es frieret mich,
es hungert mich, es duͤrstet mich, es schlaͤfert
mich
u. s. w., so denken wir uns unter dem es
eigentlich weiter nichts, als das Frieren, Hungern,
Duͤrsten, und Schlaͤfern selber. Allein dieses schei-
net nicht bei den unpersoͤnlichen Zeitwoͤrtern einzu-
treffen, welche von uns unabhaͤngige Veraͤndrun-
gen in unsrer Seele anzeigen: wir sagen z. B. es
freuet mich, es wundert mich, es gereuet mich,
es schmerzt mich, es verdrießt mich,
und wir
denken uns unter dem es nicht nur das freuen,
wundern, gereuen,
u. s. w. selber, sondern das-
jenige, was
uns freuet, wundert oder gereuet.
Daher koͤnnen wir auch das es bei diesen Woͤrtern
nicht fuͤglich weglassen: wir koͤnnen wohl sagen,
mich hungert, mich duͤrstet, aber was wuͤrde
es heißen, wenn ich sagen wollte, mich freuet,
mich wundert,
ohne noch etwas hinzuzusetzen,
was mich freuete oder wunderte.

Wenn ich also sage, es freuet mich, daß
mein Freund wieder gesund ist,
so ist der ganze

Ge-
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[98/0102] das von uns abhaͤngt, das Schlaͤfern hingegen, als etwas, wovon wir abhaͤngen: denn wenn wir gleich nicht wider Willen schlafen werden, so kann es uns doch wider Willen schlaͤfern. Auch koͤnnen wir wohl sagen, ich will schlafen, aber niemals, ich will schlaͤfern. Wenn wir aber nun sagen, es frieret mich, es hungert mich, es duͤrstet mich, es schlaͤfert mich u. s. w., so denken wir uns unter dem es eigentlich weiter nichts, als das Frieren, Hungern, Duͤrsten, und Schlaͤfern selber. Allein dieses schei- net nicht bei den unpersoͤnlichen Zeitwoͤrtern einzu- treffen, welche von uns unabhaͤngige Veraͤndrun- gen in unsrer Seele anzeigen: wir sagen z. B. es freuet mich, es wundert mich, es gereuet mich, es schmerzt mich, es verdrießt mich, und wir denken uns unter dem es nicht nur das freuen, wundern, gereuen, u. s. w. selber, sondern das- jenige, was uns freuet, wundert oder gereuet. Daher koͤnnen wir auch das es bei diesen Woͤrtern nicht fuͤglich weglassen: wir koͤnnen wohl sagen, mich hungert, mich duͤrstet, aber was wuͤrde es heißen, wenn ich sagen wollte, mich freuet, mich wundert, ohne noch etwas hinzuzusetzen, was mich freuete oder wunderte. Wenn ich also sage, es freuet mich, daß mein Freund wieder gesund ist, so ist der ganze Ge-

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Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/102>, abgerufen am 23.11.2024.