Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
Sein äußeres war ohne Grazie. Die Geckereien eines Maineck, maitre de danse & des graces de plusieures residences de l'Europe, waren den Königsbergern damals, als unser gefallener erzogen ward, noch nicht bekannt. Als er noch beim Justizcollegio diente, fühlte er Wallungen des Bluts, die auf sein Gehirn wirkten, und ihn in seinen Amtsgeschäften hinderten. Er kam ans Hofgericht zur Zeit einer Proceßordnung, die den Richter nicht mehr so lange schlafen läßt, bis Advokaten sich satt und fett geredet haben, sondern zu einer Zeit, wo der Richter in jedem Schritte jedes Processes mit Vernunft und Weisheit das Wohl der Partheyen selbst überlegen soll. Er fühlte den hohen Werth des Vertrauens, das der Staat in seine Bürger setzt, wenn er ihnen Mitbürgerwohl anvertraut. Er fühlte den hohen Adel des Berufs, Richter des Volks zu seyn. Er fühlte alles lebhaft, also auch diese Berufsgefühle. Er strebte mit unermüdetem Eifer, seine Pflicht zu erfüllen. Dabei aber fühlte er wiederhohlte Anfälle von Verstandesschwäche; Anfälle, die in alltäglichen Gesellschaften sogar auffielen, und von denen seine Bekannte und Freunde oft in die Besorgniß gesetzt wurden, daß er mit der Zeit wahnsinnig werden könnte.
Sein aͤußeres war ohne Grazie. Die Geckereien eines Maineck, maitre de danse & des graces de plusieures residences de l'Europe, waren den Koͤnigsbergern damals, als unser gefallener erzogen ward, noch nicht bekannt. Als er noch beim Justizcollegio diente, fuͤhlte er Wallungen des Bluts, die auf sein Gehirn wirkten, und ihn in seinen Amtsgeschaͤften hinderten. Er kam ans Hofgericht zur Zeit einer Proceßordnung, die den Richter nicht mehr so lange schlafen laͤßt, bis Advokaten sich satt und fett geredet haben, sondern zu einer Zeit, wo der Richter in jedem Schritte jedes Processes mit Vernunft und Weisheit das Wohl der Partheyen selbst uͤberlegen soll. Er fuͤhlte den hohen Werth des Vertrauens, das der Staat in seine Buͤrger setzt, wenn er ihnen Mitbuͤrgerwohl anvertraut. Er fuͤhlte den hohen Adel des Berufs, Richter des Volks zu seyn. Er fuͤhlte alles lebhaft, also auch diese Berufsgefuͤhle. Er strebte mit unermuͤdetem Eifer, seine Pflicht zu erfuͤllen. Dabei aber fuͤhlte er wiederhohlte Anfaͤlle von Verstandesschwaͤche; Anfaͤlle, die in alltaͤglichen Gesellschaften sogar auffielen, und von denen seine Bekannte und Freunde oft in die Besorgniß gesetzt wurden, daß er mit der Zeit wahnsinnig werden koͤnnte. <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0046" n="42"/><lb/> ges wuͤrksames Leben, nach Belieben daraus hervor geschwaͤrmt haben. </p> <p>Sein aͤußeres war ohne Grazie. Die Geckereien eines Maineck, <hi rendition="#aq">maitre de danse & des graces de plusieures residences de l'Europe,</hi> waren den Koͤnigsbergern damals, als unser gefallener erzogen ward, noch nicht bekannt. </p> <p>Als er noch beim Justizcollegio diente, fuͤhlte er Wallungen des Bluts, die auf sein Gehirn wirkten, und ihn in seinen Amtsgeschaͤften hinderten. Er kam ans Hofgericht zur Zeit einer Proceßordnung, die den Richter nicht mehr so lange schlafen laͤßt, bis Advokaten sich satt und fett geredet haben, sondern zu einer Zeit, wo der Richter in jedem Schritte jedes Processes mit Vernunft und Weisheit das Wohl der Partheyen selbst uͤberlegen soll. Er fuͤhlte den hohen Werth des Vertrauens, das der Staat in seine Buͤrger setzt, wenn er ihnen Mitbuͤrgerwohl anvertraut. Er fuͤhlte den hohen Adel des Berufs, Richter des Volks zu seyn. Er fuͤhlte alles lebhaft, also auch diese Berufsgefuͤhle. Er strebte mit unermuͤdetem Eifer, seine Pflicht zu erfuͤllen. Dabei aber fuͤhlte er wiederhohlte Anfaͤlle von Verstandesschwaͤche; Anfaͤlle, die in alltaͤglichen Gesellschaften sogar auffielen, und von denen seine Bekannte und Freunde oft in die Besorgniß gesetzt wurden, daß er mit der Zeit wahnsinnig werden koͤnnte. </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0046]
ges wuͤrksames Leben, nach Belieben daraus hervor geschwaͤrmt haben.
Sein aͤußeres war ohne Grazie. Die Geckereien eines Maineck, maitre de danse & des graces de plusieures residences de l'Europe, waren den Koͤnigsbergern damals, als unser gefallener erzogen ward, noch nicht bekannt.
Als er noch beim Justizcollegio diente, fuͤhlte er Wallungen des Bluts, die auf sein Gehirn wirkten, und ihn in seinen Amtsgeschaͤften hinderten. Er kam ans Hofgericht zur Zeit einer Proceßordnung, die den Richter nicht mehr so lange schlafen laͤßt, bis Advokaten sich satt und fett geredet haben, sondern zu einer Zeit, wo der Richter in jedem Schritte jedes Processes mit Vernunft und Weisheit das Wohl der Partheyen selbst uͤberlegen soll. Er fuͤhlte den hohen Werth des Vertrauens, das der Staat in seine Buͤrger setzt, wenn er ihnen Mitbuͤrgerwohl anvertraut. Er fuͤhlte den hohen Adel des Berufs, Richter des Volks zu seyn. Er fuͤhlte alles lebhaft, also auch diese Berufsgefuͤhle. Er strebte mit unermuͤdetem Eifer, seine Pflicht zu erfuͤllen. Dabei aber fuͤhlte er wiederhohlte Anfaͤlle von Verstandesschwaͤche; Anfaͤlle, die in alltaͤglichen Gesellschaften sogar auffielen, und von denen seine Bekannte und Freunde oft in die Besorgniß gesetzt wurden, daß er mit der Zeit wahnsinnig werden koͤnnte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/46 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/46>, abgerufen am 16.07.2024. |