Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


ich zu seiner Erläuterung weiß, will ich zu Ergänzung deines Nachdenkens erzählen.

Dieser entflohne diente der Justiz vor der letzten Verbesserung der Ostpreußischen Justizeinrichtung, bei einem der nun aufgehobenen kleinen Justizcollegien als Mitglied. Von da ward er bei Stiftung des Ostpreußischen Hofgerichts zu Jnsterburg an selbiges als Assistenzrath befördert. Seine Mutter ist irre, ist es bei der Niederkunft mit diesem Unglücklichen geworden; das ist ein erheblicher Umstand. Er selbst war ein Mann von Verstand und lebhaftem Witze. Er hatte gute theoretische Gelehrsamkeit. Sein Herz war unverbesserlich ehrlich. Er besaß viele Lebhaftigkeit. Er hatte -- was jeder vernünftige Selbstmörder hat -- Stolz! aber nicht den Stolz eines Federnhuts, den Stolz des Geldkastens, des Patents oder Diploms, nicht einmal den Stolz der Gelehrsamkeit, sondern den Götterstolz der Selbstkraft, des Verstandes und der Rechtschaffenheit.

Seine Physionomie war auffallend. Ein großes dunkles sehr lebhaftes Auge, das nur darum mißfiel, weil es so oft einen unterdrückten Gedanken zuzudecken schien, und eben so oft Wildheit wegstrahlte, ein unangenehm weiter Mund, eine große hart herausstehende Nase, sind die Hauptzüge, die mir so erinnerlich sind, daß ich sie herzeichnen kann. Lavater würde beides, Selbstmord und lan-


ich zu seiner Erlaͤuterung weiß, will ich zu Ergaͤnzung deines Nachdenkens erzaͤhlen.

Dieser entflohne diente der Justiz vor der letzten Verbesserung der Ostpreußischen Justizeinrichtung, bei einem der nun aufgehobenen kleinen Justizcollegien als Mitglied. Von da ward er bei Stiftung des Ostpreußischen Hofgerichts zu Jnsterburg an selbiges als Assistenzrath befoͤrdert. Seine Mutter ist irre, ist es bei der Niederkunft mit diesem Ungluͤcklichen geworden; das ist ein erheblicher Umstand. Er selbst war ein Mann von Verstand und lebhaftem Witze. Er hatte gute theoretische Gelehrsamkeit. Sein Herz war unverbesserlich ehrlich. Er besaß viele Lebhaftigkeit. Er hatte ― was jeder vernuͤnftige Selbstmoͤrder hat ― Stolz! aber nicht den Stolz eines Federnhuts, den Stolz des Geldkastens, des Patents oder Diploms, nicht einmal den Stolz der Gelehrsamkeit, sondern den Goͤtterstolz der Selbstkraft, des Verstandes und der Rechtschaffenheit.

Seine Physionomie war auffallend. Ein großes dunkles sehr lebhaftes Auge, das nur darum mißfiel, weil es so oft einen unterdruͤckten Gedanken zuzudecken schien, und eben so oft Wildheit wegstrahlte, ein unangenehm weiter Mund, eine große hart herausstehende Nase, sind die Hauptzuͤge, die mir so erinnerlich sind, daß ich sie herzeichnen kann. Lavater wuͤrde beides, Selbstmord und lan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0045" n="41"/><lb/>
ich zu seiner                         Erla&#x0364;uterung weiß, will ich zu Erga&#x0364;nzung deines Nachdenkens erza&#x0364;hlen. </p>
          <p>Dieser entflohne diente der Justiz vor der letzten Verbesserung                         der Ostpreußischen Justizeinrichtung, bei einem der nun aufgehobenen kleinen                         Justizcollegien als Mitglied. Von da ward er bei Stiftung des Ostpreußischen                         Hofgerichts zu Jnsterburg an selbiges als Assistenzrath befo&#x0364;rdert. Seine                         Mutter ist irre, ist es bei der Niederkunft mit diesem Unglu&#x0364;cklichen                         geworden; das ist ein erheblicher Umstand. Er selbst war ein Mann von                         Verstand und lebhaftem Witze. Er hatte gute theoretische Gelehrsamkeit. Sein                         Herz war unverbesserlich ehrlich. Er besaß viele Lebhaftigkeit. Er hatte &#x2015;                         was jeder vernu&#x0364;nftige Selbstmo&#x0364;rder hat &#x2015; Stolz! aber nicht den Stolz eines                         Federnhuts, den Stolz des Geldkastens, des Patents oder Diploms, nicht                         einmal den Stolz der Gelehrsamkeit, sondern den Go&#x0364;tterstolz der Selbstkraft,                         des Verstandes und der Rechtschaffenheit. </p>
          <p>Seine Physionomie war auffallend. Ein großes dunkles sehr                         lebhaftes Auge, das nur darum mißfiel, weil es so oft einen unterdru&#x0364;ckten                         Gedanken zuzudecken schien, und eben so oft Wildheit wegstrahlte, ein                         unangenehm weiter Mund, eine große hart herausstehende Nase, sind die                         Hauptzu&#x0364;ge, die mir so erinnerlich sind, daß ich sie herzeichnen kann.                             <persName ref="#ref0027"><note type="editorial">Lavater, Johann Caspar</note>Lavater</persName> wu&#x0364;rde                         beides, Selbstmord und lan-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0045] ich zu seiner Erlaͤuterung weiß, will ich zu Ergaͤnzung deines Nachdenkens erzaͤhlen. Dieser entflohne diente der Justiz vor der letzten Verbesserung der Ostpreußischen Justizeinrichtung, bei einem der nun aufgehobenen kleinen Justizcollegien als Mitglied. Von da ward er bei Stiftung des Ostpreußischen Hofgerichts zu Jnsterburg an selbiges als Assistenzrath befoͤrdert. Seine Mutter ist irre, ist es bei der Niederkunft mit diesem Ungluͤcklichen geworden; das ist ein erheblicher Umstand. Er selbst war ein Mann von Verstand und lebhaftem Witze. Er hatte gute theoretische Gelehrsamkeit. Sein Herz war unverbesserlich ehrlich. Er besaß viele Lebhaftigkeit. Er hatte ― was jeder vernuͤnftige Selbstmoͤrder hat ― Stolz! aber nicht den Stolz eines Federnhuts, den Stolz des Geldkastens, des Patents oder Diploms, nicht einmal den Stolz der Gelehrsamkeit, sondern den Goͤtterstolz der Selbstkraft, des Verstandes und der Rechtschaffenheit. Seine Physionomie war auffallend. Ein großes dunkles sehr lebhaftes Auge, das nur darum mißfiel, weil es so oft einen unterdruͤckten Gedanken zuzudecken schien, und eben so oft Wildheit wegstrahlte, ein unangenehm weiter Mund, eine große hart herausstehende Nase, sind die Hauptzuͤge, die mir so erinnerlich sind, daß ich sie herzeichnen kann. Lavater wuͤrde beides, Selbstmord und lan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/45
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/45>, abgerufen am 18.12.2024.