Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
Ein späterer Absatz, einige Monate nach vorstehendem geschrieben. Jch setze die Gedanken auf, die ich schon vor wenigen Wochen hatte, meinem unglücklichen Leben ein Ende zu machen, und mein Herz recht vor mir selbst auszuleeren und zu ergründen -- Täuschende Hofnungen eines erträglicheren Zustandes setzten meine verzweifelnden Entschlüsse bisher aus -- Nun habe ich noch das liebe Kind verloren -- Jch Unsinniger -- ganz widersinnisch schmerzt mich sein Verlust, da ich doch Gott preisen sollte -- ihn allen Leiden entrückt, meinen Sorgen ihn entnommen zu haben -- Mein Hoffen der verlornen Geisteskräfte ist vergebens gewesen -- mein Kopf versagt mir noch die kleinsten Dienste, und die läppischsten Beschäftigungen wollen ihm nicht gelingen. Jetzt ist es Zeit, den unglücklichen Lebensfaden zu zerreißen, jezt, da meine Gattin von der Sorge für ein verwaistes Wesen frei ist, bevor noch täuschende Augenblicke einer vorbeirauschenden Freude mich dahin führen, Abkömmlinge meines jetzigen trauervollen Zustandes in die Welt zu setzen. Und welch ein quälender Vorwurf, der Urheber des Unglücks anderer zu seyn!
Ein spaͤterer Absatz, einige Monate nach vorstehendem geschrieben. Jch setze die Gedanken auf, die ich schon vor wenigen Wochen hatte, meinem ungluͤcklichen Leben ein Ende zu machen, und mein Herz recht vor mir selbst auszuleeren und zu ergruͤnden ― Taͤuschende Hofnungen eines ertraͤglicheren Zustandes setzten meine verzweifelnden Entschluͤsse bisher aus ― Nun habe ich noch das liebe Kind verloren ― Jch Unsinniger ― ganz widersinnisch schmerzt mich sein Verlust, da ich doch Gott preisen sollte ― ihn allen Leiden entruͤckt, meinen Sorgen ihn entnommen zu haben ― Mein Hoffen der verlornen Geisteskraͤfte ist vergebens gewesen ― mein Kopf versagt mir noch die kleinsten Dienste, und die laͤppischsten Beschaͤftigungen wollen ihm nicht gelingen. Jetzt ist es Zeit, den ungluͤcklichen Lebensfaden zu zerreißen, jezt, da meine Gattin von der Sorge fuͤr ein verwaistes Wesen frei ist, bevor noch taͤuschende Augenblicke einer vorbeirauschenden Freude mich dahin fuͤhren, Abkoͤmmlinge meines jetzigen trauervollen Zustandes in die Welt zu setzen. Und welch ein quaͤlender Vorwurf, der Urheber des Ungluͤcks anderer zu seyn! <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0038" n="34"/><lb/> fuͤr die wenigen, denen ich nun schon ihr Daseyn nicht erleichtern kann, ists wenigstens Pflicht, es ihnen nicht zu erschweren, und eine Buͤrde ihnen abzunehmen, die uͤber kurz oder lang sie druͤcken muͤßte. </p> <div> <head>Ein spaͤterer Absatz, einige Monate nach vorstehendem geschrieben.</head><lb/> <p>Jch setze die Gedanken auf, die ich schon vor wenigen Wochen hatte, meinem ungluͤcklichen Leben ein Ende zu machen, und mein Herz recht vor mir selbst auszuleeren und zu ergruͤnden ― Taͤuschende Hofnungen eines ertraͤglicheren Zustandes setzten meine verzweifelnden Entschluͤsse bisher aus ― Nun habe ich noch das liebe Kind verloren ― Jch Unsinniger ― ganz widersinnisch schmerzt mich sein Verlust, da ich doch Gott preisen sollte ― ihn allen Leiden entruͤckt, meinen Sorgen ihn entnommen zu haben ― Mein Hoffen der verlornen Geisteskraͤfte ist vergebens gewesen ― mein Kopf versagt mir noch die kleinsten Dienste, und die laͤppischsten Beschaͤftigungen wollen ihm nicht gelingen. </p> <p>Jetzt ist es Zeit, den ungluͤcklichen Lebensfaden zu zerreißen, jezt, da meine Gattin von der Sorge fuͤr ein verwaistes Wesen frei ist, bevor noch taͤuschende Augenblicke einer vorbeirauschenden Freude mich dahin fuͤhren, Abkoͤmmlinge meines jetzigen trauervollen Zustandes in die Welt zu setzen. Und welch ein quaͤlender Vorwurf, der Urheber des Ungluͤcks anderer zu seyn! </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0038]
fuͤr die wenigen, denen ich nun schon ihr Daseyn nicht erleichtern kann, ists wenigstens Pflicht, es ihnen nicht zu erschweren, und eine Buͤrde ihnen abzunehmen, die uͤber kurz oder lang sie druͤcken muͤßte.
Ein spaͤterer Absatz, einige Monate nach vorstehendem geschrieben.
Jch setze die Gedanken auf, die ich schon vor wenigen Wochen hatte, meinem ungluͤcklichen Leben ein Ende zu machen, und mein Herz recht vor mir selbst auszuleeren und zu ergruͤnden ― Taͤuschende Hofnungen eines ertraͤglicheren Zustandes setzten meine verzweifelnden Entschluͤsse bisher aus ― Nun habe ich noch das liebe Kind verloren ― Jch Unsinniger ― ganz widersinnisch schmerzt mich sein Verlust, da ich doch Gott preisen sollte ― ihn allen Leiden entruͤckt, meinen Sorgen ihn entnommen zu haben ― Mein Hoffen der verlornen Geisteskraͤfte ist vergebens gewesen ― mein Kopf versagt mir noch die kleinsten Dienste, und die laͤppischsten Beschaͤftigungen wollen ihm nicht gelingen.
Jetzt ist es Zeit, den ungluͤcklichen Lebensfaden zu zerreißen, jezt, da meine Gattin von der Sorge fuͤr ein verwaistes Wesen frei ist, bevor noch taͤuschende Augenblicke einer vorbeirauschenden Freude mich dahin fuͤhren, Abkoͤmmlinge meines jetzigen trauervollen Zustandes in die Welt zu setzen. Und welch ein quaͤlender Vorwurf, der Urheber des Ungluͤcks anderer zu seyn!
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/38>, abgerufen am 16.07.2024. |