Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.
Dieß kleine Brodt, über das ich klagen müßte, daß es mich und mein Haus nicht ernähren kann -- auch das verdien' ich nicht? -- auch das esse ich mit Sünden? und ich athme noch? und ich! -- Tödtender Vorwurf, den ein wohlbehaltenes Gewissen mir macht -- Ja! eine Gattin -- und ein Kind, das mir sein Daseyn vorrückt -- erfordern meine Vorsorge -- Aber ihr wißt nicht -- Jhr meine Angehörigen, daß wenn mein unglückliches Wesen nicht plötzlich aufgelöset wird -- meine geschwächte Geisteskräfte euren Beistand erfodern, und ich statt zur Hülfe euch zur Last seyn werde! Besser, daß ich beizeiten meinem Unglück ein Opfer werde, als daß mein Stand, wenn die Täuschung auch noch lange währte, die letzten Pfennige des Erbtheils meiner armen Gattin aufzehre -- Wie sehr hat mich jede kleine Post, die ich davon zu Bedürfnissen, die gemein waren, aufnehmen mußte, weh' gethan, ohne daß meine Gattin meine Thränen verursacht oder gesehen hat -- Es ist Pflicht für jeden, das zu thun, was ihm am zuträglichsten ist -- das fordert Vernunft -- dasselbe die Religion -- Mein Leben, so wie es jetzt ist, ist ein thierisches, vernunftloses Leben -- es genügt nicht seiner Bestimmung, nicht seinen Pflichten -- Ein pflichtwidriges Leben ist für mich moralischer Tod, und dieser ärger, als der physische --
Dieß kleine Brodt, uͤber das ich klagen muͤßte, daß es mich und mein Haus nicht ernaͤhren kann ― auch das verdien' ich nicht? ― auch das esse ich mit Suͤnden? und ich athme noch? und ich! ― Toͤdtender Vorwurf, den ein wohlbehaltenes Gewissen mir macht ― Ja! eine Gattin ― und ein Kind, das mir sein Daseyn vorruͤckt ― erfordern meine Vorsorge ― Aber ihr wißt nicht ― Jhr meine Angehoͤrigen, daß wenn mein ungluͤckliches Wesen nicht ploͤtzlich aufgeloͤset wird ― meine geschwaͤchte Geisteskraͤfte euren Beistand erfodern, und ich statt zur Huͤlfe euch zur Last seyn werde! Besser, daß ich beizeiten meinem Ungluͤck ein Opfer werde, als daß mein Stand, wenn die Taͤuschung auch noch lange waͤhrte, die letzten Pfennige des Erbtheils meiner armen Gattin aufzehre ― Wie sehr hat mich jede kleine Post, die ich davon zu Beduͤrfnissen, die gemein waren, aufnehmen mußte, weh' gethan, ohne daß meine Gattin meine Thraͤnen verursacht oder gesehen hat ― Es ist Pflicht fuͤr jeden, das zu thun, was ihm am zutraͤglichsten ist ― das fordert Vernunft ― dasselbe die Religion ― Mein Leben, so wie es jetzt ist, ist ein thierisches, vernunftloses Leben ― es genuͤgt nicht seiner Bestimmung, nicht seinen Pflichten ― Ein pflichtwidriges Leben ist fuͤr mich moralischer Tod, und dieser aͤrger, als der physische ― <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0037" n="33"/><lb/> ― ich hindere einen besseren Menschen, ihn wuͤrdiger zu bekleiden? ― </p> <p>Dieß kleine Brodt, uͤber das ich klagen muͤßte, daß es mich und mein Haus nicht ernaͤhren kann ― auch das verdien' ich nicht? ― auch das esse ich mit Suͤnden? und ich athme noch? und ich! ― Toͤdtender Vorwurf, den ein wohlbehaltenes Gewissen mir macht ― Ja! eine Gattin ― und ein Kind, das mir sein Daseyn vorruͤckt ― erfordern meine Vorsorge ― Aber ihr wißt nicht ― Jhr meine Angehoͤrigen, daß wenn mein ungluͤckliches Wesen nicht ploͤtzlich aufgeloͤset wird ― meine geschwaͤchte Geisteskraͤfte euren Beistand erfodern, und ich statt zur Huͤlfe euch zur Last seyn werde! Besser, daß ich beizeiten meinem Ungluͤck ein Opfer werde, als daß mein Stand, wenn die Taͤuschung auch noch lange waͤhrte, die letzten Pfennige des Erbtheils meiner armen Gattin aufzehre ― Wie sehr hat mich jede kleine Post, die ich davon zu Beduͤrfnissen, die gemein waren, aufnehmen mußte, weh' gethan, ohne daß meine Gattin meine Thraͤnen verursacht oder gesehen hat ― Es ist Pflicht fuͤr jeden, das zu thun, was ihm am zutraͤglichsten ist ― das fordert Vernunft ― dasselbe die Religion ― Mein Leben, so wie es jetzt ist, ist ein thierisches, vernunftloses Leben ― es genuͤgt nicht seiner Bestimmung, nicht seinen Pflichten ― Ein pflichtwidriges Leben ist fuͤr mich moralischer Tod, und dieser aͤrger, als der physische ―<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0037]
― ich hindere einen besseren Menschen, ihn wuͤrdiger zu bekleiden? ―
Dieß kleine Brodt, uͤber das ich klagen muͤßte, daß es mich und mein Haus nicht ernaͤhren kann ― auch das verdien' ich nicht? ― auch das esse ich mit Suͤnden? und ich athme noch? und ich! ― Toͤdtender Vorwurf, den ein wohlbehaltenes Gewissen mir macht ― Ja! eine Gattin ― und ein Kind, das mir sein Daseyn vorruͤckt ― erfordern meine Vorsorge ― Aber ihr wißt nicht ― Jhr meine Angehoͤrigen, daß wenn mein ungluͤckliches Wesen nicht ploͤtzlich aufgeloͤset wird ― meine geschwaͤchte Geisteskraͤfte euren Beistand erfodern, und ich statt zur Huͤlfe euch zur Last seyn werde! Besser, daß ich beizeiten meinem Ungluͤck ein Opfer werde, als daß mein Stand, wenn die Taͤuschung auch noch lange waͤhrte, die letzten Pfennige des Erbtheils meiner armen Gattin aufzehre ― Wie sehr hat mich jede kleine Post, die ich davon zu Beduͤrfnissen, die gemein waren, aufnehmen mußte, weh' gethan, ohne daß meine Gattin meine Thraͤnen verursacht oder gesehen hat ― Es ist Pflicht fuͤr jeden, das zu thun, was ihm am zutraͤglichsten ist ― das fordert Vernunft ― dasselbe die Religion ― Mein Leben, so wie es jetzt ist, ist ein thierisches, vernunftloses Leben ― es genuͤgt nicht seiner Bestimmung, nicht seinen Pflichten ― Ein pflichtwidriges Leben ist fuͤr mich moralischer Tod, und dieser aͤrger, als der physische ―
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/37>, abgerufen am 17.02.2025. |