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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

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stens zwei Jahre älter war, als ich. Aus diesem Jhr schloß ich, daß dieß wohl ein Jnspektor seyn müsse. Jch nahm also meinen Hut ab, und sagte: Jch will nur eine kurze Visite geben. "Narr! sagte er, habt Jhr denn einen Zettel? -- Wie denn? -- Einfältiger Knabe, stellt Euch doch nicht so dumm! marschirt den Augenblick auf Eure Stube!" Es stund ein Cirkel Studenten um ihn herum, die lachten mich aus, und ich stand da, wie ein Mensch, der nichts thut, weil er glaubt, er träumt. Der Fall von meiner stolzen Freude über das Glück meiner Schwester bis zu dieser tiefen Demüthigung war so groß, daß er mich ganz gedankenlos machte. Endlich besann ich mich, und fuhr hitzig auf ihn hinein: Herr, sagte ich, denken Sie denn, ich bin ein Kind! Er trat einige Schritte zurück, und ich glaube, der Elende erschrack, denn er sagte: Nun, so geht nur! -- Jch war aber viel zu ärgerlich, als daß ich nun hätte sollen einen Schritt weiter gehn. Jch kehrte um, und ging auf meine Stube. Sind Sie geschossen?*) sagte ein kleiner Schüler zu mir. -- Was wollen Sie damit? Jch meine, ob Sie der Schießhund nicht durchgelassen hat? -- So nennt man hier diesen Jnspektor, der die Aufsicht über das Ausgehn der Schüler hat, allgemein. Jch hörte

*)Heißt auf dem Waisenhause so viel, als gesehen von einem Jnspektor auf einer unerlaubten That ertappt.


stens zwei Jahre aͤlter war, als ich. Aus diesem Jhr schloß ich, daß dieß wohl ein Jnspektor seyn muͤsse. Jch nahm also meinen Hut ab, und sagte: Jch will nur eine kurze Visite geben. »Narr! sagte er, habt Jhr denn einen Zettel? ― Wie denn? ― Einfaͤltiger Knabe, stellt Euch doch nicht so dumm! marschirt den Augenblick auf Eure Stube!« Es stund ein Cirkel Studenten um ihn herum, die lachten mich aus, und ich stand da, wie ein Mensch, der nichts thut, weil er glaubt, er traͤumt. Der Fall von meiner stolzen Freude uͤber das Gluͤck meiner Schwester bis zu dieser tiefen Demuͤthigung war so groß, daß er mich ganz gedankenlos machte. Endlich besann ich mich, und fuhr hitzig auf ihn hinein: Herr, sagte ich, denken Sie denn, ich bin ein Kind! Er trat einige Schritte zuruͤck, und ich glaube, der Elende erschrack, denn er sagte: Nun, so geht nur! ― Jch war aber viel zu aͤrgerlich, als daß ich nun haͤtte sollen einen Schritt weiter gehn. Jch kehrte um, und ging auf meine Stube. Sind Sie geschossen?*) sagte ein kleiner Schuͤler zu mir. ― Was wollen Sie damit? Jch meine, ob Sie der Schießhund nicht durchgelassen hat? ― So nennt man hier diesen Jnspektor, der die Aufsicht uͤber das Ausgehn der Schuͤler hat, allgemein. Jch hoͤrte

*)Heißt auf dem Waisenhause so viel, als gesehen von einem Jnspektor auf einer unerlaubten That ertappt.
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[22/0026] stens zwei Jahre aͤlter war, als ich. Aus diesem Jhr schloß ich, daß dieß wohl ein Jnspektor seyn muͤsse. Jch nahm also meinen Hut ab, und sagte: Jch will nur eine kurze Visite geben. »Narr! sagte er, habt Jhr denn einen Zettel? ― Wie denn? ― Einfaͤltiger Knabe, stellt Euch doch nicht so dumm! marschirt den Augenblick auf Eure Stube!« Es stund ein Cirkel Studenten um ihn herum, die lachten mich aus, und ich stand da, wie ein Mensch, der nichts thut, weil er glaubt, er traͤumt. Der Fall von meiner stolzen Freude uͤber das Gluͤck meiner Schwester bis zu dieser tiefen Demuͤthigung war so groß, daß er mich ganz gedankenlos machte. Endlich besann ich mich, und fuhr hitzig auf ihn hinein: Herr, sagte ich, denken Sie denn, ich bin ein Kind! Er trat einige Schritte zuruͤck, und ich glaube, der Elende erschrack, denn er sagte: Nun, so geht nur! ― Jch war aber viel zu aͤrgerlich, als daß ich nun haͤtte sollen einen Schritt weiter gehn. Jch kehrte um, und ging auf meine Stube. Sind Sie geschossen?*) sagte ein kleiner Schuͤler zu mir. ― Was wollen Sie damit? Jch meine, ob Sie der Schießhund nicht durchgelassen hat? ― So nennt man hier diesen Jnspektor, der die Aufsicht uͤber das Ausgehn der Schuͤler hat, allgemein. Jch hoͤrte *)Heißt auf dem Waisenhause so viel, als gesehen von einem Jnspektor auf einer unerlaubten That ertappt.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/26>, abgerufen am 23.11.2024.