Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.*** Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Jch setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Jch las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmöglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thüren gingen auf und zu, und der eine Schüler, der mir ein überaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg -- der Jnspektor! -- Jch sah ihn an und lachte mit der größten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? -- Romane nicht, überhaupt deutsche Bücher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? -- Geht es wohl einem Gefangnen so? Gegen Abend kam ein Student an des gewöhnlichen Stubenpräceptors Stelle. Die Schüler begrüßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzählte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betäubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte über verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Jhr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespräch gehört? -- Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu *** Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Jch setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Jch las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmoͤglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thuͤren gingen auf und zu, und der eine Schuͤler, der mir ein uͤberaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg ― der Jnspektor! ― Jch sah ihn an und lachte mit der groͤßten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? ― Romane nicht, uͤberhaupt deutsche Buͤcher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? ― Geht es wohl einem Gefangnen so? Gegen Abend kam ein Student an des gewoͤhnlichen Stubenpraͤceptors Stelle. Die Schuͤler begruͤßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzaͤhlte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betaͤubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte uͤber verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Jhr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespraͤch gehoͤrt? ― Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0017" n="13"/><lb/> <p rend="center">***</p> <p>Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Jch setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Jch las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmoͤglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thuͤren gingen auf und zu, und der eine Schuͤler, der mir ein uͤberaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg ― der Jnspektor! ― Jch sah ihn an und lachte mit der groͤßten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? ― Romane nicht, uͤberhaupt deutsche Buͤcher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? ― Geht es wohl einem Gefangnen so? </p> <p>Gegen Abend kam ein Student an des gewoͤhnlichen Stubenpraͤceptors Stelle. Die Schuͤler begruͤßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzaͤhlte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betaͤubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte uͤber verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Jhr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespraͤch gehoͤrt? ― Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0017]
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Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Jch setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Jch las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmoͤglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thuͤren gingen auf und zu, und der eine Schuͤler, der mir ein uͤberaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg ― der Jnspektor! ― Jch sah ihn an und lachte mit der groͤßten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? ― Romane nicht, uͤberhaupt deutsche Buͤcher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? ― Geht es wohl einem Gefangnen so?
Gegen Abend kam ein Student an des gewoͤhnlichen Stubenpraͤceptors Stelle. Die Schuͤler begruͤßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzaͤhlte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betaͤubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte uͤber verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Jhr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespraͤch gehoͤrt? ― Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu
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