Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Mich dünkt dieser schon in der frühsten Kindheit sich äussernde Hang, setzt unleugbar eine ganz eigene innere Stimmung der Seele voraus, die sie nicht erst durch äussere Umstände und sinnliche Eindrücke erhielt, d.h. irgend eine nicht von aussen, sondern durch innere Anlagen mehr oder weniger bestimmte Richtung der Seelenthätigkeit. Die allgemeine Erfahrung, daß jedes Kind in seinen Handlungen schon etwas unterscheidendes hat, zeigt, daß bei jedem Kinde so etwas statt finden müsse. Und nirgends anders als in dieser Stimmung der Seele ist wohl der Grund zu suchen, warum gewisse Vorstellungen aus der Kindheit so fest haften, andere wieder verschwinden. Wo ich nicht irre, so kann eine Vorstellung bei einem mäßigen Grad von Lebhaftigkeit und innerer Klarheit, wenn der Eindruck nur nicht zu schnell vorübergehend ist, sich unauslöschlich ein-
Mich duͤnkt dieser schon in der fruͤhsten Kindheit sich aͤussernde Hang, setzt unleugbar eine ganz eigene innere Stimmung der Seele voraus, die sie nicht erst durch aͤussere Umstaͤnde und sinnliche Eindruͤcke erhielt, d.h. irgend eine nicht von aussen, sondern durch innere Anlagen mehr oder weniger bestimmte Richtung der Seelenthaͤtigkeit. Die allgemeine Erfahrung, daß jedes Kind in seinen Handlungen schon etwas unterscheidendes hat, zeigt, daß bei jedem Kinde so etwas statt finden muͤsse. Und nirgends anders als in dieser Stimmung der Seele ist wohl der Grund zu suchen, warum gewisse Vorstellungen aus der Kindheit so fest haften, andere wieder verschwinden. Wo ich nicht irre, so kann eine Vorstellung bei einem maͤßigen Grad von Lebhaftigkeit und innerer Klarheit, wenn der Eindruck nur nicht zu schnell voruͤbergehend ist, sich unausloͤschlich ein- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0096" n="92"/><lb/> Schade nur, daß mich der Zufall auf ein sehr unvollkommnes geleitet hatte. Es war Hedrichs Anleitung zu den mathematischen Wissenschaften. Doch sammelte ich mir daraus allerlei historische Kenntnisse von mathematischen Dingen, besonders von der Astronomie, lernte Sonnenuhren machen, freilich nur mechanisch, und andere dergleichen Dinge. Und eben dieselbe Vorliebe zur Mathematik und ihren Anwendungen ist noch jetzt bei mir uͤberwiegend, und wird es wohl immer bleiben. </p> <p>Mich duͤnkt dieser schon in der fruͤhsten Kindheit sich aͤussernde Hang, setzt unleugbar eine ganz eigene innere Stimmung der Seele voraus, die sie nicht erst durch aͤussere Umstaͤnde und sinnliche Eindruͤcke erhielt, d.h. <hi rendition="#b">irgend eine nicht von aussen, sondern durch innere Anlagen mehr oder weniger bestimmte Richtung der Seelenthaͤtigkeit.</hi> Die allgemeine Erfahrung, daß jedes Kind in seinen Handlungen schon etwas unterscheidendes hat, zeigt, daß bei jedem Kinde so etwas statt finden muͤsse. </p> <p><hi rendition="#b">Und nirgends anders als in dieser Stimmung der Seele ist wohl der Grund zu suchen, warum gewisse Vorstellungen aus der Kindheit so fest haften, andere wieder verschwinden.</hi> Wo ich nicht irre, so kann eine Vorstellung bei einem maͤßigen Grad von Lebhaftigkeit und innerer Klarheit, wenn der Eindruck nur nicht zu schnell voruͤbergehend ist, sich unausloͤschlich ein-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0096]
Schade nur, daß mich der Zufall auf ein sehr unvollkommnes geleitet hatte. Es war Hedrichs Anleitung zu den mathematischen Wissenschaften. Doch sammelte ich mir daraus allerlei historische Kenntnisse von mathematischen Dingen, besonders von der Astronomie, lernte Sonnenuhren machen, freilich nur mechanisch, und andere dergleichen Dinge. Und eben dieselbe Vorliebe zur Mathematik und ihren Anwendungen ist noch jetzt bei mir uͤberwiegend, und wird es wohl immer bleiben.
Mich duͤnkt dieser schon in der fruͤhsten Kindheit sich aͤussernde Hang, setzt unleugbar eine ganz eigene innere Stimmung der Seele voraus, die sie nicht erst durch aͤussere Umstaͤnde und sinnliche Eindruͤcke erhielt, d.h. irgend eine nicht von aussen, sondern durch innere Anlagen mehr oder weniger bestimmte Richtung der Seelenthaͤtigkeit. Die allgemeine Erfahrung, daß jedes Kind in seinen Handlungen schon etwas unterscheidendes hat, zeigt, daß bei jedem Kinde so etwas statt finden muͤsse.
Und nirgends anders als in dieser Stimmung der Seele ist wohl der Grund zu suchen, warum gewisse Vorstellungen aus der Kindheit so fest haften, andere wieder verschwinden. Wo ich nicht irre, so kann eine Vorstellung bei einem maͤßigen Grad von Lebhaftigkeit und innerer Klarheit, wenn der Eindruck nur nicht zu schnell voruͤbergehend ist, sich unausloͤschlich ein-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/96>, abgerufen am 27.07.2024. |