Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.So weit ich in meine Kindheit und Jugend zurückdenken kann, finde ich in der Wirksamkeit meiner Seele einen ganz eigenen Hang zum Messen, und ein besonderes Wohlgefallen an Ebenmaaß. Jch entdecke diesen Hang selbst schon in den Spielen meiner Kindheit, so weit ich mich ihrer erinnere. Unter andern spielte ich sehr gerne mit hölzernen Stäbchen, die ich in regelmäßige Figuren zusammenlegte, allerlei daraus bauete, schnitzte u.d.gl.m. Man hat mir öfters erzählt, daß ich in meiner ersten Kindheit (höchstens im vierten Jahre) einmal eine Frage gethan, die mir sonderbar vorkommt. Jch mochte etwa drei oder vier Thürme in meinem Leben gesehen haben, und fragte jemanden, der mit mir aus dem Fenster nach einem Thurm sahe, sehr bedächtlich: ob denn alle Thürme in der Welt auch so hoch wären? Der zu frühe Tod meines Vaters, der eine starke Vorliebe zur Mathematik, und nicht gemeine Kenntnisse darinn hatte, entzog mir einen frühzeitigen Unterricht in der Meßkunst. Vielleicht hätte ich schon in der Kindheit schnelle Fortschritte darinn gemacht. Jn meinem achten oder neunten Jahr gerieth ich zum erstenmal über ein eigentlich mathematisches Buch, und noch jetzt ist mir die Erinnerung angenehm, wie begierig ich es für mich durchstudierte. So weit ich in meine Kindheit und Jugend zuruͤckdenken kann, finde ich in der Wirksamkeit meiner Seele einen ganz eigenen Hang zum Messen, und ein besonderes Wohlgefallen an Ebenmaaß. Jch entdecke diesen Hang selbst schon in den Spielen meiner Kindheit, so weit ich mich ihrer erinnere. Unter andern spielte ich sehr gerne mit hoͤlzernen Staͤbchen, die ich in regelmaͤßige Figuren zusammenlegte, allerlei daraus bauete, schnitzte u.d.gl.m. Man hat mir oͤfters erzaͤhlt, daß ich in meiner ersten Kindheit (hoͤchstens im vierten Jahre) einmal eine Frage gethan, die mir sonderbar vorkommt. Jch mochte etwa drei oder vier Thuͤrme in meinem Leben gesehen haben, und fragte jemanden, der mit mir aus dem Fenster nach einem Thurm sahe, sehr bedaͤchtlich: ob denn alle Thuͤrme in der Welt auch so hoch waͤren? Der zu fruͤhe Tod meines Vaters, der eine starke Vorliebe zur Mathematik, und nicht gemeine Kenntnisse darinn hatte, entzog mir einen fruͤhzeitigen Unterricht in der Meßkunst. Vielleicht haͤtte ich schon in der Kindheit schnelle Fortschritte darinn gemacht. Jn meinem achten oder neunten Jahr gerieth ich zum erstenmal uͤber ein eigentlich mathematisches Buch, und noch jetzt ist mir die Erinnerung angenehm, wie begierig ich es fuͤr mich durchstudierte. <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0095" n="91"/><lb/> <p>So weit ich in meine Kindheit und Jugend zuruͤckdenken kann, finde ich in der Wirksamkeit meiner Seele einen ganz eigenen Hang zum Messen, und ein besonderes Wohlgefallen an Ebenmaaß. Jch entdecke diesen Hang selbst schon in den Spielen meiner Kindheit, so weit ich mich ihrer erinnere. </p> <p>Unter andern spielte ich sehr gerne mit hoͤlzernen Staͤbchen, die ich in regelmaͤßige Figuren zusammenlegte, allerlei daraus bauete, schnitzte u.d.gl.m. Man hat mir oͤfters erzaͤhlt, daß ich in meiner ersten Kindheit (hoͤchstens im vierten Jahre) einmal eine Frage gethan, die mir sonderbar vorkommt. Jch mochte etwa drei oder vier Thuͤrme in meinem Leben gesehen haben, und fragte jemanden, der mit mir aus dem Fenster nach einem Thurm sahe, sehr bedaͤchtlich: ob denn alle Thuͤrme in der Welt auch so hoch waͤren? </p> <p>Der zu fruͤhe Tod meines Vaters, der eine starke Vorliebe zur Mathematik, und nicht gemeine Kenntnisse darinn hatte, entzog mir einen fruͤhzeitigen Unterricht in der Meßkunst. Vielleicht haͤtte ich schon in der Kindheit schnelle Fortschritte darinn gemacht. </p> <p>Jn meinem achten oder neunten Jahr gerieth ich zum erstenmal uͤber ein eigentlich mathematisches Buch, und noch jetzt ist mir die Erinnerung angenehm, wie begierig ich es fuͤr mich durchstudierte.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0095]
So weit ich in meine Kindheit und Jugend zuruͤckdenken kann, finde ich in der Wirksamkeit meiner Seele einen ganz eigenen Hang zum Messen, und ein besonderes Wohlgefallen an Ebenmaaß. Jch entdecke diesen Hang selbst schon in den Spielen meiner Kindheit, so weit ich mich ihrer erinnere.
Unter andern spielte ich sehr gerne mit hoͤlzernen Staͤbchen, die ich in regelmaͤßige Figuren zusammenlegte, allerlei daraus bauete, schnitzte u.d.gl.m. Man hat mir oͤfters erzaͤhlt, daß ich in meiner ersten Kindheit (hoͤchstens im vierten Jahre) einmal eine Frage gethan, die mir sonderbar vorkommt. Jch mochte etwa drei oder vier Thuͤrme in meinem Leben gesehen haben, und fragte jemanden, der mit mir aus dem Fenster nach einem Thurm sahe, sehr bedaͤchtlich: ob denn alle Thuͤrme in der Welt auch so hoch waͤren?
Der zu fruͤhe Tod meines Vaters, der eine starke Vorliebe zur Mathematik, und nicht gemeine Kenntnisse darinn hatte, entzog mir einen fruͤhzeitigen Unterricht in der Meßkunst. Vielleicht haͤtte ich schon in der Kindheit schnelle Fortschritte darinn gemacht.
Jn meinem achten oder neunten Jahr gerieth ich zum erstenmal uͤber ein eigentlich mathematisches Buch, und noch jetzt ist mir die Erinnerung angenehm, wie begierig ich es fuͤr mich durchstudierte.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/95>, abgerufen am 27.07.2024. |