Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Aber der Bau der innern Theile, besonders der Kristalllinse, ist vermuthlich fehlerhaft; es würde aber zu weitläuftig seyn, wenn ich meine Gründe, unter nähern Bestimmungen hier auseinander setzen wollte. Es wird zu gegenwärtiger Untersuchung hinlänglich seyn, wenn ich bemerke, daß es den Bildern in meinem Auge an Schärfe und bestimmten Gränzen fehlt, besonders sehe ich eine senkrecht vor mir stehende Linie so undeutlich, daß sie fast einem Strich gleicht, den man mit sehr flüßiger Tinte auf Löschpapier macht, überdem weiß ich aus Gründen und Erfahrungen, daß mir die Breite der Gegenstände in Vergleichung mit ihrer Höhe etwas zu groß erscheint. Hieraus folgt nun, daß die Eindrücke der Farben bei mir sehr lebhaft, die sinnlichen Vorstellungen von Figur und Umriß aber nicht nur sehr undeutlich und unbestimmt, sondern sogar unrichtig sind. Hält man dieses gegen das vorige, so ist unleugbar, daß, bei mir wenigstens, weder Lebhaftigkeit noch Deutlichkeit der Vorstellungen die Ursache war, warum sich gewisse Arten derselben so fest einprägten. Daß ich mich in diesem Urtheil nicht irre, zeigen mir noch andere Erfahrungen.
Aber der Bau der innern Theile, besonders der Kristalllinse, ist vermuthlich fehlerhaft; es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig seyn, wenn ich meine Gruͤnde, unter naͤhern Bestimmungen hier auseinander setzen wollte. Es wird zu gegenwaͤrtiger Untersuchung hinlaͤnglich seyn, wenn ich bemerke, daß es den Bildern in meinem Auge an Schaͤrfe und bestimmten Graͤnzen fehlt, besonders sehe ich eine senkrecht vor mir stehende Linie so undeutlich, daß sie fast einem Strich gleicht, den man mit sehr fluͤßiger Tinte auf Loͤschpapier macht, uͤberdem weiß ich aus Gruͤnden und Erfahrungen, daß mir die Breite der Gegenstaͤnde in Vergleichung mit ihrer Hoͤhe etwas zu groß erscheint. Hieraus folgt nun, daß die Eindruͤcke der Farben bei mir sehr lebhaft, die sinnlichen Vorstellungen von Figur und Umriß aber nicht nur sehr undeutlich und unbestimmt, sondern sogar unrichtig sind. Haͤlt man dieses gegen das vorige, so ist unleugbar, daß, bei mir wenigstens, weder Lebhaftigkeit noch Deutlichkeit der Vorstellungen die Ursache war, warum sich gewisse Arten derselben so fest einpraͤgten. Daß ich mich in diesem Urtheil nicht irre, zeigen mir noch andere Erfahrungen. <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0092" n="88"/><lb/> angeben zu koͤnnen glaube. Meine Augennerven haben keine geringere, sondern eher eine staͤrkere Empfindlichkeit, als bei andern; denn im Dunkeln sehe ich so gut, oder besser als viele andere. </p> <p>Aber der Bau der innern Theile, besonders der Kristalllinse, ist vermuthlich fehlerhaft; es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig seyn, wenn ich meine Gruͤnde, unter naͤhern Bestimmungen hier auseinander setzen wollte. Es wird zu gegenwaͤrtiger Untersuchung hinlaͤnglich seyn, wenn ich bemerke, daß es den Bildern in meinem Auge an Schaͤrfe und bestimmten Graͤnzen fehlt, besonders sehe ich eine senkrecht vor mir stehende Linie so undeutlich, daß sie fast einem Strich gleicht, den man mit sehr fluͤßiger Tinte auf Loͤschpapier macht, uͤberdem weiß ich aus Gruͤnden und Erfahrungen, daß mir die Breite der Gegenstaͤnde in Vergleichung mit ihrer Hoͤhe etwas zu groß erscheint. </p> <p>Hieraus folgt nun, daß die Eindruͤcke der <hi rendition="#b">Farben</hi> bei mir sehr <hi rendition="#b">lebhaft,</hi> die sinnlichen Vorstellungen von <hi rendition="#b">Figur und Umriß</hi> aber nicht nur sehr <hi rendition="#b">undeutlich</hi> und <hi rendition="#b">unbestimmt,</hi> sondern sogar unrichtig sind. Haͤlt man dieses gegen das vorige, so ist unleugbar, daß, bei mir wenigstens, weder Lebhaftigkeit noch Deutlichkeit der Vorstellungen die Ursache war, warum sich gewisse Arten derselben so fest einpraͤgten. Daß ich mich in diesem Urtheil nicht irre, zeigen mir noch andere Erfahrungen. </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0092]
angeben zu koͤnnen glaube. Meine Augennerven haben keine geringere, sondern eher eine staͤrkere Empfindlichkeit, als bei andern; denn im Dunkeln sehe ich so gut, oder besser als viele andere.
Aber der Bau der innern Theile, besonders der Kristalllinse, ist vermuthlich fehlerhaft; es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig seyn, wenn ich meine Gruͤnde, unter naͤhern Bestimmungen hier auseinander setzen wollte. Es wird zu gegenwaͤrtiger Untersuchung hinlaͤnglich seyn, wenn ich bemerke, daß es den Bildern in meinem Auge an Schaͤrfe und bestimmten Graͤnzen fehlt, besonders sehe ich eine senkrecht vor mir stehende Linie so undeutlich, daß sie fast einem Strich gleicht, den man mit sehr fluͤßiger Tinte auf Loͤschpapier macht, uͤberdem weiß ich aus Gruͤnden und Erfahrungen, daß mir die Breite der Gegenstaͤnde in Vergleichung mit ihrer Hoͤhe etwas zu groß erscheint.
Hieraus folgt nun, daß die Eindruͤcke der Farben bei mir sehr lebhaft, die sinnlichen Vorstellungen von Figur und Umriß aber nicht nur sehr undeutlich und unbestimmt, sondern sogar unrichtig sind. Haͤlt man dieses gegen das vorige, so ist unleugbar, daß, bei mir wenigstens, weder Lebhaftigkeit noch Deutlichkeit der Vorstellungen die Ursache war, warum sich gewisse Arten derselben so fest einpraͤgten. Daß ich mich in diesem Urtheil nicht irre, zeigen mir noch andere Erfahrungen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/92>, abgerufen am 27.07.2024. |