Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.Was der Verfasser dieses Aufsatzes hinzufügt, scheint mir nicht so durchaus wahr zu sein. Er fährt fort: Menschen über jenes Alter, vollendete Bösewichter, Verbrecher, denen das Gesetz bereits ihre Strafen bestimmt hat, die sich folglich in jedem Betracht zur Besserung nimmer qualificiren, bleiben wie vorhin, der öffentlichen Justiz überlassen. Nach dem gewöhnlichen Schlage der Zucht- und Arbeitshäuser werden sie freilich nicht besser, aber auch nicht bei zweckmäßigerer Einrichtung? Oft wiederhohlte Laster, Verbrechen, die schon Temperamentssünde geworden, sind freilich nach dreißig Jahren schwer auszurotten; aber giebts nicht auch Verbrechen, die nur ein einzigesmal begangen worden? Man nehme z.B. eine Kindermörderinn. Jst dies nicht ein Verbrechen, welches nur durch Umstände veranlaßt wird? Verheirathet die Unglückliche, gebt ihr einen Vater, Mittel zur Ernährung ihres Kindes, nehmt die Schande von ihr; wird sie wohl wieder morden? Die Bemerkung, daß in den Kinderjahren Farben den stärksten Eindruck machen, habe ich auch an mir selbst gemacht; So weiß ich, daß als ich noch so klein war, daß man mich durch Singen einzuschläfern suchte, etwas grünes vor dem Fenster war, und meine Aeltern haben mir hernach erzählt, Was der Verfasser dieses Aufsatzes hinzufuͤgt, scheint mir nicht so durchaus wahr zu sein. Er faͤhrt fort: Menschen uͤber jenes Alter, vollendete Boͤsewichter, Verbrecher, denen das Gesetz bereits ihre Strafen bestimmt hat, die sich folglich in jedem Betracht zur Besserung nimmer qualificiren, bleiben wie vorhin, der oͤffentlichen Justiz uͤberlassen. Nach dem gewoͤhnlichen Schlage der Zucht- und Arbeitshaͤuser werden sie freilich nicht besser, aber auch nicht bei zweckmaͤßigerer Einrichtung? Oft wiederhohlte Laster, Verbrechen, die schon Temperamentssuͤnde geworden, sind freilich nach dreißig Jahren schwer auszurotten; aber giebts nicht auch Verbrechen, die nur ein einzigesmal begangen worden? Man nehme z.B. eine Kindermoͤrderinn. Jst dies nicht ein Verbrechen, welches nur durch Umstaͤnde veranlaßt wird? Verheirathet die Ungluͤckliche, gebt ihr einen Vater, Mittel zur Ernaͤhrung ihres Kindes, nehmt die Schande von ihr; wird sie wohl wieder morden? Die Bemerkung, daß in den Kinderjahren Farben den staͤrksten Eindruck machen, habe ich auch an mir selbst gemacht; So weiß ich, daß als ich noch so klein war, daß man mich durch Singen einzuschlaͤfern suchte, etwas gruͤnes vor dem Fenster war, und meine Aeltern haben mir hernach erzaͤhlt, <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0009" n="5"/><lb/> <p>Was der Verfasser dieses Aufsatzes hinzufuͤgt, scheint mir nicht so durchaus wahr zu sein. Er faͤhrt fort: </p> <p>Menschen uͤber jenes Alter, vollendete Boͤsewichter, Verbrecher, denen das Gesetz bereits ihre Strafen bestimmt hat, die sich folglich in jedem Betracht zur Besserung nimmer qualificiren, bleiben wie vorhin, der oͤffentlichen Justiz uͤberlassen. </p> <p>Nach dem gewoͤhnlichen Schlage der Zucht- und Arbeitshaͤuser werden sie freilich nicht besser, aber auch nicht bei zweckmaͤßigerer Einrichtung? Oft wiederhohlte Laster, Verbrechen, die schon Temperamentssuͤnde geworden, sind freilich nach dreißig Jahren schwer auszurotten; aber giebts nicht auch Verbrechen, die nur ein einzigesmal begangen worden? Man nehme z.B. eine Kindermoͤrderinn. Jst dies nicht ein Verbrechen, welches nur durch Umstaͤnde veranlaßt wird? Verheirathet die Ungluͤckliche, gebt ihr einen Vater, Mittel zur Ernaͤhrung ihres Kindes, nehmt die Schande von ihr; wird sie wohl wieder morden? </p> <p>Die Bemerkung, daß in den Kinderjahren Farben den staͤrksten Eindruck machen, habe ich auch an mir selbst gemacht; So weiß ich, daß als ich noch so klein war, daß man mich durch Singen einzuschlaͤfern suchte, etwas gruͤnes vor dem Fenster war, und meine Aeltern haben mir hernach erzaͤhlt,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0009]
Was der Verfasser dieses Aufsatzes hinzufuͤgt, scheint mir nicht so durchaus wahr zu sein. Er faͤhrt fort:
Menschen uͤber jenes Alter, vollendete Boͤsewichter, Verbrecher, denen das Gesetz bereits ihre Strafen bestimmt hat, die sich folglich in jedem Betracht zur Besserung nimmer qualificiren, bleiben wie vorhin, der oͤffentlichen Justiz uͤberlassen.
Nach dem gewoͤhnlichen Schlage der Zucht- und Arbeitshaͤuser werden sie freilich nicht besser, aber auch nicht bei zweckmaͤßigerer Einrichtung? Oft wiederhohlte Laster, Verbrechen, die schon Temperamentssuͤnde geworden, sind freilich nach dreißig Jahren schwer auszurotten; aber giebts nicht auch Verbrechen, die nur ein einzigesmal begangen worden? Man nehme z.B. eine Kindermoͤrderinn. Jst dies nicht ein Verbrechen, welches nur durch Umstaͤnde veranlaßt wird? Verheirathet die Ungluͤckliche, gebt ihr einen Vater, Mittel zur Ernaͤhrung ihres Kindes, nehmt die Schande von ihr; wird sie wohl wieder morden?
Die Bemerkung, daß in den Kinderjahren Farben den staͤrksten Eindruck machen, habe ich auch an mir selbst gemacht; So weiß ich, daß als ich noch so klein war, daß man mich durch Singen einzuschlaͤfern suchte, etwas gruͤnes vor dem Fenster war, und meine Aeltern haben mir hernach erzaͤhlt,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/9>, abgerufen am 27.07.2024. |