Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Jch habe aber Grund zu glauben, daß es mit den Erinnerungen aus meiner Kindheit nicht so gegangen ist. Es haben mich öfters Augenzeugen, denen ich sie erzählte, von ihrer Richtigkeit versichert. Ja ich habe mich einigermaßen selbst durch den Augenschein davon überzeugt, indem ich vor wenig Jahren von einem Berge bey Saalfeld, meinen Geburtsort, der noch etwas über eine halbe Meile entfernt war, durch einen Tubus gesehen habe. Jch fand alles, so viel ich sehen konnte, so, wie ich mir's vorstellte, bis auf die Farbe des Wohnhauses, die aber in zwanzig Jahren wohl verändert seyn konnte. Doch könnte dieses auch wohl einen andern Grund haben, den ich weiter unten angeben will. Ob meine Vorstellung von der absoluten und verhältnismäßigen Größe der Gebäude richtig wäre, konnte ich in der Entfernung so genau nicht entscheiden, doch schloß ich aus verschiedenen Umstän-
Jch habe aber Grund zu glauben, daß es mit den Erinnerungen aus meiner Kindheit nicht so gegangen ist. Es haben mich oͤfters Augenzeugen, denen ich sie erzaͤhlte, von ihrer Richtigkeit versichert. Ja ich habe mich einigermaßen selbst durch den Augenschein davon uͤberzeugt, indem ich vor wenig Jahren von einem Berge bey Saalfeld, meinen Geburtsort, der noch etwas uͤber eine halbe Meile entfernt war, durch einen Tubus gesehen habe. Jch fand alles, so viel ich sehen konnte, so, wie ich mir's vorstellte, bis auf die Farbe des Wohnhauses, die aber in zwanzig Jahren wohl veraͤndert seyn konnte. Doch koͤnnte dieses auch wohl einen andern Grund haben, den ich weiter unten angeben will. Ob meine Vorstellung von der absoluten und verhaͤltnismaͤßigen Groͤße der Gebaͤude richtig waͤre, konnte ich in der Entfernung so genau nicht entscheiden, doch schloß ich aus verschiedenen Umstaͤn- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0088" n="84"/><lb/> stimmte Vorstellungen erhalten kann. Jch gebe gerne zu, daß sich in diese Erinnerungen wohl manches falsche mag eingeschlichen haben. Die Einbildungskraft ist nur gar zu bereitwillig, unvollstaͤndige Bilder auszumahlen, ja ich habe sogar oͤfters bemerkt, daß Vorstellungen von solchen Gegenstaͤnden, die ich nur kurze Zeit betrachtet hatte, und denn ein Jahr lang, oder laͤnger nicht wiedersah, sich fast ganz veraͤndert, und ihre erste Wahrheit verloren hatten. </p> <p>Jch habe aber Grund zu glauben, daß es mit den Erinnerungen aus meiner Kindheit nicht so gegangen ist. Es haben mich oͤfters Augenzeugen, denen ich sie erzaͤhlte, von ihrer Richtigkeit versichert. Ja ich habe mich einigermaßen selbst durch den Augenschein davon uͤberzeugt, indem ich vor wenig Jahren von einem Berge bey Saalfeld, meinen Geburtsort, der noch etwas uͤber eine halbe Meile entfernt war, durch einen Tubus gesehen habe. Jch fand alles, so viel ich sehen konnte, so, wie ich mir's vorstellte, bis auf die <hi rendition="#b">Farbe</hi> des Wohnhauses, die aber in zwanzig Jahren wohl veraͤndert seyn konnte. Doch koͤnnte dieses auch wohl einen andern Grund haben, den ich weiter unten angeben will. </p> <p>Ob meine Vorstellung von der absoluten und verhaͤltnismaͤßigen <hi rendition="#b">Groͤße</hi> der Gebaͤude richtig waͤre, konnte ich in der Entfernung so genau nicht entscheiden, doch schloß ich aus verschiedenen Umstaͤn-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0088]
stimmte Vorstellungen erhalten kann. Jch gebe gerne zu, daß sich in diese Erinnerungen wohl manches falsche mag eingeschlichen haben. Die Einbildungskraft ist nur gar zu bereitwillig, unvollstaͤndige Bilder auszumahlen, ja ich habe sogar oͤfters bemerkt, daß Vorstellungen von solchen Gegenstaͤnden, die ich nur kurze Zeit betrachtet hatte, und denn ein Jahr lang, oder laͤnger nicht wiedersah, sich fast ganz veraͤndert, und ihre erste Wahrheit verloren hatten.
Jch habe aber Grund zu glauben, daß es mit den Erinnerungen aus meiner Kindheit nicht so gegangen ist. Es haben mich oͤfters Augenzeugen, denen ich sie erzaͤhlte, von ihrer Richtigkeit versichert. Ja ich habe mich einigermaßen selbst durch den Augenschein davon uͤberzeugt, indem ich vor wenig Jahren von einem Berge bey Saalfeld, meinen Geburtsort, der noch etwas uͤber eine halbe Meile entfernt war, durch einen Tubus gesehen habe. Jch fand alles, so viel ich sehen konnte, so, wie ich mir's vorstellte, bis auf die Farbe des Wohnhauses, die aber in zwanzig Jahren wohl veraͤndert seyn konnte. Doch koͤnnte dieses auch wohl einen andern Grund haben, den ich weiter unten angeben will.
Ob meine Vorstellung von der absoluten und verhaͤltnismaͤßigen Groͤße der Gebaͤude richtig waͤre, konnte ich in der Entfernung so genau nicht entscheiden, doch schloß ich aus verschiedenen Umstaͤn-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/88 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/88>, abgerufen am 27.07.2024. |