Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Jhr Mann, mit dem ich mich vorher unterredet, eh' ich ins Krankenzimmer trat, hatte mir alle diese vorher angezeigten Umstände entdeckt, die mir aber zum Theil schon bekannt waren, da sie zu unsrer Gemeinde gehörte. Nach mancherlei Gesprächen über ihren Seelenzustand, wo sie, nachdem sie jedermann hinauszugehen ersucht hatte, alle ihre Gewissensangelegenheiten und Zweifel entdeckt, lenkte ich denn auch die Unterredung auf die vorhererwehnte Materie, wünschte aber zugleich, daß Gott ihr bald an Leib und Seele helfen wolle. Hier indeß versicherte sie mich, daß sie gewiß sterben werde, und da ich sie näher um die Gründe, die sie davon hätte, befrug, antwortete sie mir: daß sie zwar nicht sagen könnte, woher sie es eigentlich wisse, doch aber sei ihr das gar wohl erinnerlich, daß schon an dem Sterbenstage ihres vorigen Kindes, welches nun ein Jahr sei, dieser Gedanke ihr sehr lebhaft geworden wäre. Bei diesen Gedanken blieb sie auch beständig, obgleich der Arzt ihr jetzt noch immer alle Hofnung der Gene-
Jhr Mann, mit dem ich mich vorher unterredet, eh' ich ins Krankenzimmer trat, hatte mir alle diese vorher angezeigten Umstaͤnde entdeckt, die mir aber zum Theil schon bekannt waren, da sie zu unsrer Gemeinde gehoͤrte. Nach mancherlei Gespraͤchen uͤber ihren Seelenzustand, wo sie, nachdem sie jedermann hinauszugehen ersucht hatte, alle ihre Gewissensangelegenheiten und Zweifel entdeckt, lenkte ich denn auch die Unterredung auf die vorhererwehnte Materie, wuͤnschte aber zugleich, daß Gott ihr bald an Leib und Seele helfen wolle. Hier indeß versicherte sie mich, daß sie gewiß sterben werde, und da ich sie naͤher um die Gruͤnde, die sie davon haͤtte, befrug, antwortete sie mir: daß sie zwar nicht sagen koͤnnte, woher sie es eigentlich wisse, doch aber sei ihr das gar wohl erinnerlich, daß schon an dem Sterbenstage ihres vorigen Kindes, welches nun ein Jahr sei, dieser Gedanke ihr sehr lebhaft geworden waͤre. Bei diesen Gedanken blieb sie auch bestaͤndig, obgleich der Arzt ihr jetzt noch immer alle Hofnung der Gene- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0084" n="80"/><lb/> lich voruͤbergegangen und schien nirgend etwas von einer Gefahr zu befuͤrchten zu seyn. Jndessen fand sich ein Geschwuͤr am Unterleibe, welches der Arzt fuͤr eine Druͤse hielt, wo sich die Milch hingezogen und verhaͤrtet haͤtte, wobei sie die erstaunlichsten Schmerzen empfand. </p> <p>Jhr Mann, mit dem ich mich vorher unterredet, eh' ich ins Krankenzimmer trat, hatte mir alle diese vorher angezeigten Umstaͤnde entdeckt, die mir aber zum Theil schon bekannt waren, da sie zu unsrer Gemeinde gehoͤrte. Nach mancherlei Gespraͤchen uͤber ihren Seelenzustand, wo sie, nachdem sie jedermann hinauszugehen ersucht hatte, alle ihre Gewissensangelegenheiten und Zweifel entdeckt, lenkte ich denn auch die Unterredung auf die vorhererwehnte Materie, wuͤnschte aber zugleich, daß Gott ihr bald an Leib und Seele helfen wolle. </p> <p>Hier indeß versicherte sie mich, daß sie gewiß sterben werde, und da ich sie naͤher um die Gruͤnde, die sie davon haͤtte, befrug, antwortete sie mir: daß sie zwar nicht sagen koͤnnte, woher sie es eigentlich wisse, doch aber sei ihr das gar wohl erinnerlich, daß schon an dem Sterbenstage ihres vorigen Kindes, welches nun ein Jahr sei, dieser Gedanke ihr sehr lebhaft geworden waͤre. Bei diesen Gedanken blieb sie auch bestaͤndig, obgleich der Arzt ihr jetzt noch immer alle Hofnung der Gene-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0084]
lich voruͤbergegangen und schien nirgend etwas von einer Gefahr zu befuͤrchten zu seyn. Jndessen fand sich ein Geschwuͤr am Unterleibe, welches der Arzt fuͤr eine Druͤse hielt, wo sich die Milch hingezogen und verhaͤrtet haͤtte, wobei sie die erstaunlichsten Schmerzen empfand.
Jhr Mann, mit dem ich mich vorher unterredet, eh' ich ins Krankenzimmer trat, hatte mir alle diese vorher angezeigten Umstaͤnde entdeckt, die mir aber zum Theil schon bekannt waren, da sie zu unsrer Gemeinde gehoͤrte. Nach mancherlei Gespraͤchen uͤber ihren Seelenzustand, wo sie, nachdem sie jedermann hinauszugehen ersucht hatte, alle ihre Gewissensangelegenheiten und Zweifel entdeckt, lenkte ich denn auch die Unterredung auf die vorhererwehnte Materie, wuͤnschte aber zugleich, daß Gott ihr bald an Leib und Seele helfen wolle.
Hier indeß versicherte sie mich, daß sie gewiß sterben werde, und da ich sie naͤher um die Gruͤnde, die sie davon haͤtte, befrug, antwortete sie mir: daß sie zwar nicht sagen koͤnnte, woher sie es eigentlich wisse, doch aber sei ihr das gar wohl erinnerlich, daß schon an dem Sterbenstage ihres vorigen Kindes, welches nun ein Jahr sei, dieser Gedanke ihr sehr lebhaft geworden waͤre. Bei diesen Gedanken blieb sie auch bestaͤndig, obgleich der Arzt ihr jetzt noch immer alle Hofnung der Gene-
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