Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Jch erwachte, und weg war meine Krankheit, da mein völliges Bewußtseyn. Die Freude meiner Aerzte, Freunde, und Familie in diesem Augenblick, können Sie sich leicht vorstellen, oder auch nicht leicht vorstellen. Alles um mich herum war vergnügt und frölich, nur ich war niedergeschlagen, bis auf den höchsten Grad ermattet. Mein ganzes ich war mir nicht fühlbar, beinahe kam es mir vor, daß der Genesene ein ganz andres Subjekt neben mir im Bette wäre. Meine Seele war indessen heiter. Während dieses Schlafs hat die Krankheit die seltenste Metastasis gemacht, die in den Schriften der Aerzte vorkömmt. Jch spürte gleich bei meiner Erwachung, daß mir die ganze innre Höle des Mundes wehe that, und ich nicht schlucken konnte. Und als mein Freund S. mir im Mund sahe: so fand er mit Erstaunen, daß er ganz nebst dem Zapfen bis tief herunter im Schlunde mit Schwämmen überzogen war, die eine dicke gräuliche Haut bildeten. Er war erfreut über diese Crisis, so sehr ich auch von diesem Zufall gequält wurde. Das Herunterschlucken eines Tropfen Wassers machte mir die gräßlichsten Schmerzen. Nun übernam mein Freund V.. mich, ich wurde Tag und Nacht alle Stunden ge-
Jch erwachte, und weg war meine Krankheit, da mein voͤlliges Bewußtseyn. Die Freude meiner Aerzte, Freunde, und Familie in diesem Augenblick, koͤnnen Sie sich leicht vorstellen, oder auch nicht leicht vorstellen. Alles um mich herum war vergnuͤgt und froͤlich, nur ich war niedergeschlagen, bis auf den hoͤchsten Grad ermattet. Mein ganzes ich war mir nicht fuͤhlbar, beinahe kam es mir vor, daß der Genesene ein ganz andres Subjekt neben mir im Bette waͤre. Meine Seele war indessen heiter. Waͤhrend dieses Schlafs hat die Krankheit die seltenste Metastasis gemacht, die in den Schriften der Aerzte vorkoͤmmt. Jch spuͤrte gleich bei meiner Erwachung, daß mir die ganze innre Hoͤle des Mundes wehe that, und ich nicht schlucken konnte. Und als mein Freund S. mir im Mund sahe: so fand er mit Erstaunen, daß er ganz nebst dem Zapfen bis tief herunter im Schlunde mit Schwaͤmmen uͤberzogen war, die eine dicke graͤuliche Haut bildeten. Er war erfreut uͤber diese Crisis, so sehr ich auch von diesem Zufall gequaͤlt wurde. Das Herunterschlucken eines Tropfen Wassers machte mir die graͤßlichsten Schmerzen. Nun uͤbernam mein Freund V.. mich, ich wurde Tag und Nacht alle Stunden ge- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0074" n="70"/><lb/> nuten, delirirte sehr wenig, und schlief gleich wieder ein. Und so hielt der Schlaf, nur von einigen Augenblicken Erwachung unterbrochen, bis zum 4ten des Mittags an. </p> <p>Jch erwachte, und <hi rendition="#b">weg</hi> war meine Krankheit, <hi rendition="#b">da</hi> mein voͤlliges Bewußtseyn. Die Freude meiner Aerzte, Freunde, und Familie in diesem Augenblick, koͤnnen Sie sich leicht vorstellen, oder auch nicht leicht vorstellen. Alles um mich herum war vergnuͤgt und froͤlich, nur ich war niedergeschlagen, bis auf den hoͤchsten Grad ermattet. Mein ganzes <hi rendition="#b">ich</hi> war mir nicht fuͤhlbar, beinahe kam es mir vor, daß der Genesene ein ganz andres Subjekt neben mir im Bette waͤre. Meine Seele war indessen heiter. Waͤhrend dieses Schlafs hat die Krankheit die seltenste Metastasis gemacht, die in den Schriften der Aerzte vorkoͤmmt. Jch spuͤrte gleich bei meiner Erwachung, daß mir die ganze innre Hoͤle des Mundes wehe that, und ich nicht schlucken konnte. Und als mein Freund S. mir im Mund sahe: so fand er mit Erstaunen, daß er ganz nebst dem Zapfen bis tief herunter im Schlunde mit <hi rendition="#b">Schwaͤmmen</hi> uͤberzogen war, die eine dicke graͤuliche Haut bildeten. Er war erfreut uͤber diese Crisis, so sehr ich auch von diesem Zufall gequaͤlt wurde. Das Herunterschlucken eines Tropfen Wassers machte mir die graͤßlichsten Schmerzen. Nun uͤbernam mein Freund V.. mich, ich wurde Tag und Nacht alle Stunden ge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0074]
nuten, delirirte sehr wenig, und schlief gleich wieder ein. Und so hielt der Schlaf, nur von einigen Augenblicken Erwachung unterbrochen, bis zum 4ten des Mittags an.
Jch erwachte, und weg war meine Krankheit, da mein voͤlliges Bewußtseyn. Die Freude meiner Aerzte, Freunde, und Familie in diesem Augenblick, koͤnnen Sie sich leicht vorstellen, oder auch nicht leicht vorstellen. Alles um mich herum war vergnuͤgt und froͤlich, nur ich war niedergeschlagen, bis auf den hoͤchsten Grad ermattet. Mein ganzes ich war mir nicht fuͤhlbar, beinahe kam es mir vor, daß der Genesene ein ganz andres Subjekt neben mir im Bette waͤre. Meine Seele war indessen heiter. Waͤhrend dieses Schlafs hat die Krankheit die seltenste Metastasis gemacht, die in den Schriften der Aerzte vorkoͤmmt. Jch spuͤrte gleich bei meiner Erwachung, daß mir die ganze innre Hoͤle des Mundes wehe that, und ich nicht schlucken konnte. Und als mein Freund S. mir im Mund sahe: so fand er mit Erstaunen, daß er ganz nebst dem Zapfen bis tief herunter im Schlunde mit Schwaͤmmen uͤberzogen war, die eine dicke graͤuliche Haut bildeten. Er war erfreut uͤber diese Crisis, so sehr ich auch von diesem Zufall gequaͤlt wurde. Das Herunterschlucken eines Tropfen Wassers machte mir die graͤßlichsten Schmerzen. Nun uͤbernam mein Freund V.. mich, ich wurde Tag und Nacht alle Stunden ge-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/74>, abgerufen am 27.07.2024. |