Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
<TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0065" n="61"/><lb/> Blumen meiner Bettgardinen und des Schirms, erschienen mir als Menschen, die in bestaͤndiger Bewegung sind. Sie gingen alle nach der Wand zu, und da es lauter Bekannte waren, die mir meine Phantasie in ihnen darstellte, so ging ich ihnen oft nach, und befand mich mit ihnen in grossen erleuchteten Zimmern zwischen den Waͤnden, wo ich die tiefsten und verborgensten Familiengeheimnisse, die in der Oberwelt jeder Mensch in der innersten Kammer seines Herzens vergraben haͤlt, erfuhr. Jch habe einst meine Geliebte ans Bette gerufen, und ihr eine schreckliche Begebenheit zweier unsrer Bekannten und Freunde erzaͤhlt, die ich in dieser geheimen schauervollen unterirdischen Versammlung erfahren hatte, und dies mit so vielem Zusammenhang und so grosser Wahrscheinlichkeit, daß sie es fuͤr nichts anders, als fuͤr eine wahre Geschichte hielt, die ich laͤngst vor meiner Krankheit schon wußte, ohne sie ihr zu entdecken, und daß ich etwa aus Unbesonnenheit jetzt schwatzhaft wurde. So tief und unausloͤschlich stach der Grabstichel der Natur die Gesetze in unserer Seele, daß sie, in dem widernatuͤrlichsten Zustande dieser, dem fluͤchtigen Auge zwar unkenntlich scheinen, den forschenden bewaffneten aber in ihrer voͤlligen Deutlichkeit sich darstellen. Der groͤßte Theil menschlicher Begriffe sind Verhaͤltnißbegriffe. Ordnung und Unordnung bestimmen wir nach willkuͤhrlich von uns vorausgesetzten Regeln, <hi rendition="#b">an sich</hi> ist Unordnung in der Na-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0065]
Blumen meiner Bettgardinen und des Schirms, erschienen mir als Menschen, die in bestaͤndiger Bewegung sind. Sie gingen alle nach der Wand zu, und da es lauter Bekannte waren, die mir meine Phantasie in ihnen darstellte, so ging ich ihnen oft nach, und befand mich mit ihnen in grossen erleuchteten Zimmern zwischen den Waͤnden, wo ich die tiefsten und verborgensten Familiengeheimnisse, die in der Oberwelt jeder Mensch in der innersten Kammer seines Herzens vergraben haͤlt, erfuhr. Jch habe einst meine Geliebte ans Bette gerufen, und ihr eine schreckliche Begebenheit zweier unsrer Bekannten und Freunde erzaͤhlt, die ich in dieser geheimen schauervollen unterirdischen Versammlung erfahren hatte, und dies mit so vielem Zusammenhang und so grosser Wahrscheinlichkeit, daß sie es fuͤr nichts anders, als fuͤr eine wahre Geschichte hielt, die ich laͤngst vor meiner Krankheit schon wußte, ohne sie ihr zu entdecken, und daß ich etwa aus Unbesonnenheit jetzt schwatzhaft wurde. So tief und unausloͤschlich stach der Grabstichel der Natur die Gesetze in unserer Seele, daß sie, in dem widernatuͤrlichsten Zustande dieser, dem fluͤchtigen Auge zwar unkenntlich scheinen, den forschenden bewaffneten aber in ihrer voͤlligen Deutlichkeit sich darstellen. Der groͤßte Theil menschlicher Begriffe sind Verhaͤltnißbegriffe. Ordnung und Unordnung bestimmen wir nach willkuͤhrlich von uns vorausgesetzten Regeln, an sich ist Unordnung in der Na-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |