Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.2. An Herrn Doktor J.. in Königsberg. ![]() Mein lieber wahrer Freund! Die Erstlinge meiner Kräfte, die mir die Feder erlauben, seyn Jhnen gewidmet, mein wahrer Busenfreund! Sie haben, wie ich gehört und gesehn, nicht an meinen Zustand Theil genommen, haben ihn ganz mitgefühlt. Jhr inniglicher Herzensbrief, der nur einige Tage nach dem Anfange meiner Genesung kam, hat mein ganzes viertel Wesen, das ich zu der Zeit noch war, ausser Fassung gebracht, das wenige Mark in meinen Gebeinen durchdrungen, und eine Stundelang meine Augen unter Wasser gehalten. Wie viel hätt' ich an diesem Leben verloren, dachte ich, der ich während meiner Krankheit so wenig an diesem Leben zu verlieren glaubte, wenn es den Genuß einer solchen Glückseeligkeit enthält, einen solchen Freund zu besitzen! Jch habe einen von allen Seiten betrachtet schrecklichen Sturm ausgehalten. Die Spitze des Mastes küßte schon die Wellen; das Fahrzeug leck; und die Kräfte der Arbeiter erschöpft. Noch einige Augenblicke, und es wäre geschehn gewesen: und auf einmal heitres Wetter, Windstille, die Arbeiter erholen sich; das Fahrzeug wird ausgebessert, und erwachend aus der Ohnmacht finde ich mich auf dem Trocknen! Ein kleines Wunder war in der 2. An Herrn Doktor J.. in Koͤnigsberg. ![]() Mein lieber wahrer Freund! Die Erstlinge meiner Kraͤfte, die mir die Feder erlauben, seyn Jhnen gewidmet, mein wahrer Busenfreund! Sie haben, wie ich gehoͤrt und gesehn, nicht an meinen Zustand Theil genommen, haben ihn ganz mitgefuͤhlt. Jhr inniglicher Herzensbrief, der nur einige Tage nach dem Anfange meiner Genesung kam, hat mein ganzes viertel Wesen, das ich zu der Zeit noch war, ausser Fassung gebracht, das wenige Mark in meinen Gebeinen durchdrungen, und eine Stundelang meine Augen unter Wasser gehalten. Wie viel haͤtt' ich an diesem Leben verloren, dachte ich, der ich waͤhrend meiner Krankheit so wenig an diesem Leben zu verlieren glaubte, wenn es den Genuß einer solchen Gluͤckseeligkeit enthaͤlt, einen solchen Freund zu besitzen! Jch habe einen von allen Seiten betrachtet schrecklichen Sturm ausgehalten. Die Spitze des Mastes kuͤßte schon die Wellen; das Fahrzeug leck; und die Kraͤfte der Arbeiter erschoͤpft. Noch einige Augenblicke, und es waͤre geschehn gewesen: und auf einmal heitres Wetter, Windstille, die Arbeiter erholen sich; das Fahrzeug wird ausgebessert, und erwachend aus der Ohnmacht finde ich mich auf dem Trocknen! Ein kleines Wunder war in der <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0048" n="44"/><lb/><lb/> </div> <div> <head>2. An Herrn Doktor J.. in Koͤnigsberg.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref22"><note type="editorial"/>Herz, Marcus</persName> </bibl> </note> <p>Mein lieber wahrer Freund! </p> <p>Die Erstlinge meiner Kraͤfte, die mir die Feder erlauben, seyn Jhnen gewidmet, mein wahrer Busenfreund! Sie haben, wie ich gehoͤrt und gesehn, nicht an meinen Zustand <hi rendition="#b">Theil</hi> genommen, haben ihn <hi rendition="#b">ganz</hi> mitgefuͤhlt. Jhr inniglicher Herzensbrief, der nur einige Tage nach dem Anfange meiner Genesung kam, hat mein ganzes <hi rendition="#b">viertel</hi> Wesen, das ich zu der Zeit noch war, ausser Fassung gebracht, das wenige Mark in meinen Gebeinen durchdrungen, und eine Stundelang meine Augen unter Wasser gehalten. Wie viel haͤtt' ich an diesem Leben verloren, dachte ich, der ich waͤhrend meiner Krankheit so wenig an diesem Leben zu verlieren glaubte, wenn es den Genuß einer solchen Gluͤckseeligkeit enthaͤlt, einen solchen Freund zu besitzen! </p> <p>Jch habe einen von allen Seiten betrachtet schrecklichen Sturm ausgehalten. Die Spitze des Mastes kuͤßte schon die Wellen; das Fahrzeug leck; und die Kraͤfte der Arbeiter erschoͤpft. Noch einige Augenblicke, und es waͤre geschehn gewesen: und auf einmal heitres Wetter, Windstille, die Arbeiter erholen sich; das Fahrzeug wird ausgebessert, und erwachend aus der Ohnmacht finde ich mich auf dem Trocknen! Ein kleines Wunder war in der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0048]
2. An Herrn Doktor J.. in Koͤnigsberg.
Mein lieber wahrer Freund!
Die Erstlinge meiner Kraͤfte, die mir die Feder erlauben, seyn Jhnen gewidmet, mein wahrer Busenfreund! Sie haben, wie ich gehoͤrt und gesehn, nicht an meinen Zustand Theil genommen, haben ihn ganz mitgefuͤhlt. Jhr inniglicher Herzensbrief, der nur einige Tage nach dem Anfange meiner Genesung kam, hat mein ganzes viertel Wesen, das ich zu der Zeit noch war, ausser Fassung gebracht, das wenige Mark in meinen Gebeinen durchdrungen, und eine Stundelang meine Augen unter Wasser gehalten. Wie viel haͤtt' ich an diesem Leben verloren, dachte ich, der ich waͤhrend meiner Krankheit so wenig an diesem Leben zu verlieren glaubte, wenn es den Genuß einer solchen Gluͤckseeligkeit enthaͤlt, einen solchen Freund zu besitzen!
Jch habe einen von allen Seiten betrachtet schrecklichen Sturm ausgehalten. Die Spitze des Mastes kuͤßte schon die Wellen; das Fahrzeug leck; und die Kraͤfte der Arbeiter erschoͤpft. Noch einige Augenblicke, und es waͤre geschehn gewesen: und auf einmal heitres Wetter, Windstille, die Arbeiter erholen sich; das Fahrzeug wird ausgebessert, und erwachend aus der Ohnmacht finde ich mich auf dem Trocknen! Ein kleines Wunder war in der
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/48>, abgerufen am 27.07.2024. |