Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.Dadurch verfalle ich denn endlich in einen Zustand, daß ich eine Vernichtung aller Geisteskräfte, sogar der Vernunft, befürchten muß, wenn ich mich nicht auf eine Zeitlang, gleichsam mit Gewalt, loßreiße und zerstreue, und gewisser Besorgnisse wegen, zuweilen ausser Hauses. Eben die Wirkung hat der Anfall des starken Grams. Und, o Gott, du weißt es, wie selten ich seit einigen Jahren in Dessau von der Uebermacht desselben befreit gewesen bin, seitdem ich dem Lande habe dienen, und ein Philanthropin stiften wollen, wovon ein guter Rest nachgeblieben ist! Trinke ich nun in einem solchen Zustande keinen Wein, oder höchst wenig, so werden meine, entweder zu arbeitsamen oder zu kummervollen Grübeleien nicht unterbrochen, und so bleibe ich in Gefahr, gänzlich zu erliegen, davon ich den Anfang sehr trauriger Wirkungen zuweilen schon erlebt habe. Jch kenne in der Mischung dieses Lichts und Schattens meines Gleichen nicht. Vielleicht liegt eine natürliche Ursache darinnen, daß mich ein ausserordentlich lebhafter Vater gezeugt, und eine mehrentheils bis zum Wahnsinne melancholische Mutter geboren hat. Jn diesem Zustande kann ich nun schlechterdings nicht vorher errathen, wie viel oder wenig mir diene. Wirkt ein unvermuthetes Erinnerungsmittel einer Kette von Ursachen des Grams, so Dadurch verfalle ich denn endlich in einen Zustand, daß ich eine Vernichtung aller Geisteskraͤfte, sogar der Vernunft, befuͤrchten muß, wenn ich mich nicht auf eine Zeitlang, gleichsam mit Gewalt, loßreiße und zerstreue, und gewisser Besorgnisse wegen, zuweilen ausser Hauses. Eben die Wirkung hat der Anfall des starken Grams. Und, o Gott, du weißt es, wie selten ich seit einigen Jahren in Dessau von der Uebermacht desselben befreit gewesen bin, seitdem ich dem Lande habe dienen, und ein Philanthropin stiften wollen, wovon ein guter Rest nachgeblieben ist! Trinke ich nun in einem solchen Zustande keinen Wein, oder hoͤchst wenig, so werden meine, entweder zu arbeitsamen oder zu kummervollen Gruͤbeleien nicht unterbrochen, und so bleibe ich in Gefahr, gaͤnzlich zu erliegen, davon ich den Anfang sehr trauriger Wirkungen zuweilen schon erlebt habe. Jch kenne in der Mischung dieses Lichts und Schattens meines Gleichen nicht. Vielleicht liegt eine natuͤrliche Ursache darinnen, daß mich ein ausserordentlich lebhafter Vater gezeugt, und eine mehrentheils bis zum Wahnsinne melancholische Mutter geboren hat. Jn diesem Zustande kann ich nun schlechterdings nicht vorher errathen, wie viel oder wenig mir diene. Wirkt ein unvermuthetes Erinnerungsmittel einer Kette von Ursachen des Grams, so <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0040" n="36"/><lb/> <p>Dadurch verfalle ich denn endlich in einen Zustand, daß ich eine Vernichtung aller Geisteskraͤfte, sogar der Vernunft, befuͤrchten muß, wenn ich mich nicht auf eine Zeitlang, gleichsam mit Gewalt, loßreiße und zerstreue, und gewisser Besorgnisse wegen, zuweilen ausser Hauses. Eben die Wirkung hat der Anfall des starken Grams. </p> <p>Und, o Gott, du weißt es, wie selten ich seit einigen Jahren in Dessau von der Uebermacht desselben befreit gewesen bin, seitdem ich dem Lande habe dienen, und ein Philanthropin stiften wollen, wovon ein guter Rest nachgeblieben ist! Trinke ich nun in einem solchen Zustande keinen Wein, oder hoͤchst wenig, so werden meine, entweder zu arbeitsamen oder zu kummervollen Gruͤbeleien nicht unterbrochen, und so bleibe ich in Gefahr, gaͤnzlich zu erliegen, davon ich den Anfang sehr trauriger Wirkungen zuweilen schon erlebt habe. </p> <p>Jch kenne in der Mischung dieses Lichts und Schattens meines Gleichen nicht. Vielleicht liegt eine natuͤrliche Ursache darinnen, daß mich ein ausserordentlich lebhafter Vater gezeugt, und eine mehrentheils bis zum Wahnsinne melancholische Mutter geboren hat. </p> <p>Jn diesem Zustande kann ich nun schlechterdings nicht vorher errathen, wie viel oder wenig mir diene. Wirkt ein unvermuthetes Erinnerungsmittel einer Kette von Ursachen des Grams, so<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0040]
Dadurch verfalle ich denn endlich in einen Zustand, daß ich eine Vernichtung aller Geisteskraͤfte, sogar der Vernunft, befuͤrchten muß, wenn ich mich nicht auf eine Zeitlang, gleichsam mit Gewalt, loßreiße und zerstreue, und gewisser Besorgnisse wegen, zuweilen ausser Hauses. Eben die Wirkung hat der Anfall des starken Grams.
Und, o Gott, du weißt es, wie selten ich seit einigen Jahren in Dessau von der Uebermacht desselben befreit gewesen bin, seitdem ich dem Lande habe dienen, und ein Philanthropin stiften wollen, wovon ein guter Rest nachgeblieben ist! Trinke ich nun in einem solchen Zustande keinen Wein, oder hoͤchst wenig, so werden meine, entweder zu arbeitsamen oder zu kummervollen Gruͤbeleien nicht unterbrochen, und so bleibe ich in Gefahr, gaͤnzlich zu erliegen, davon ich den Anfang sehr trauriger Wirkungen zuweilen schon erlebt habe.
Jch kenne in der Mischung dieses Lichts und Schattens meines Gleichen nicht. Vielleicht liegt eine natuͤrliche Ursache darinnen, daß mich ein ausserordentlich lebhafter Vater gezeugt, und eine mehrentheils bis zum Wahnsinne melancholische Mutter geboren hat.
Jn diesem Zustande kann ich nun schlechterdings nicht vorher errathen, wie viel oder wenig mir diene. Wirkt ein unvermuthetes Erinnerungsmittel einer Kette von Ursachen des Grams, so
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/40 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/40>, abgerufen am 27.07.2024. |