Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Jn diesem Zeitpunkte antwortete er auf alle Fragen seiner Mitschüler nichts. Es schien, als wenn eine tiefe Schwermuth, die mit einer Reue über ein begangenes Unrecht verknüpft war, sich seiner bemächtigt hatte. Er sah starr und still auf jeden, der ihn befragte, und selbst seine Lehrer erhielten entweder keine oder nur abgebrochene Antworten von ihm, die keinen Sinn hatten. Man hielt es anfänglich für eine vorübergehende Schwäche, als er es aber mehrere Tage fortsetzte, ununterbrochen bald weinte, bald durch Worte, Gebehrden und Handlungen Verwirrung des Verstandes äusserte, befragte man ihn genauer, und erhielt noch keine befriedigende Antwort. Man fand für gut, nicht mit Schärfe in ihn zu dringen. Seine Mitschüler entfernten sich von ihm. Hierauf schnitt er in den Tisch einen Galgen, oder bemahlte damit ein Papier, setzte sich das Messer an die Kehle oder auf die Brust, sprach vom Ersäufen, mit dem Zusatz, daß er es längst würde gethan haben, wenn er seinen Eltern diesen Gram hätte verursachen können, drohete einige seiner Mitschüler, und besonders auch den französischen Lehrer zu erstechen, einen Balken herunterzureissen
Jn diesem Zeitpunkte antwortete er auf alle Fragen seiner Mitschuͤler nichts. Es schien, als wenn eine tiefe Schwermuth, die mit einer Reue uͤber ein begangenes Unrecht verknuͤpft war, sich seiner bemaͤchtigt hatte. Er sah starr und still auf jeden, der ihn befragte, und selbst seine Lehrer erhielten entweder keine oder nur abgebrochene Antworten von ihm, die keinen Sinn hatten. Man hielt es anfaͤnglich fuͤr eine voruͤbergehende Schwaͤche, als er es aber mehrere Tage fortsetzte, ununterbrochen bald weinte, bald durch Worte, Gebehrden und Handlungen Verwirrung des Verstandes aͤusserte, befragte man ihn genauer, und erhielt noch keine befriedigende Antwort. Man fand fuͤr gut, nicht mit Schaͤrfe in ihn zu dringen. Seine Mitschuͤler entfernten sich von ihm. Hierauf schnitt er in den Tisch einen Galgen, oder bemahlte damit ein Papier, setzte sich das Messer an die Kehle oder auf die Brust, sprach vom Ersaͤufen, mit dem Zusatz, daß er es laͤngst wuͤrde gethan haben, wenn er seinen Eltern diesen Gram haͤtte verursachen koͤnnen, drohete einige seiner Mitschuͤler, und besonders auch den franzoͤsischen Lehrer zu erstechen, einen Balken herunterzureissen <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0034" n="30"/><lb/> zu hatte er von dem Tage an stets ein ungewoͤhnlich großes Messer bei sich. So wird mirs auch gehen, setzte er hinzu, und bald darauf drangen Thraͤnen aus seinen Augen. </p> <p>Jn diesem Zeitpunkte antwortete er auf alle Fragen seiner Mitschuͤler nichts. Es schien, als wenn eine tiefe <choice><corr>Schwermuth</corr><sic>Swermuth</sic></choice>, die mit einer Reue uͤber ein begangenes Unrecht verknuͤpft war, sich seiner bemaͤchtigt hatte. Er sah starr und still auf jeden, der ihn befragte, und selbst seine Lehrer erhielten entweder keine oder nur abgebrochene Antworten von ihm, die keinen Sinn hatten. </p> <p>Man hielt es anfaͤnglich fuͤr eine voruͤbergehende Schwaͤche, als er es aber mehrere Tage fortsetzte, ununterbrochen bald weinte, bald durch Worte, Gebehrden und Handlungen Verwirrung des Verstandes aͤusserte, befragte man ihn genauer, und erhielt noch keine befriedigende Antwort. Man fand fuͤr gut, nicht mit Schaͤrfe in ihn zu dringen. Seine Mitschuͤler entfernten sich von ihm. </p> <p>Hierauf schnitt er in den Tisch einen Galgen, oder bemahlte damit ein Papier, setzte sich das Messer an die Kehle oder auf die Brust, sprach vom Ersaͤufen, mit dem Zusatz, daß er es laͤngst wuͤrde gethan haben, wenn er seinen Eltern diesen Gram haͤtte verursachen koͤnnen, drohete einige seiner Mitschuͤler, und besonders auch den franzoͤsischen Lehrer zu erstechen, einen Balken herunterzureissen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0034]
zu hatte er von dem Tage an stets ein ungewoͤhnlich großes Messer bei sich. So wird mirs auch gehen, setzte er hinzu, und bald darauf drangen Thraͤnen aus seinen Augen.
Jn diesem Zeitpunkte antwortete er auf alle Fragen seiner Mitschuͤler nichts. Es schien, als wenn eine tiefe Schwermuth, die mit einer Reue uͤber ein begangenes Unrecht verknuͤpft war, sich seiner bemaͤchtigt hatte. Er sah starr und still auf jeden, der ihn befragte, und selbst seine Lehrer erhielten entweder keine oder nur abgebrochene Antworten von ihm, die keinen Sinn hatten.
Man hielt es anfaͤnglich fuͤr eine voruͤbergehende Schwaͤche, als er es aber mehrere Tage fortsetzte, ununterbrochen bald weinte, bald durch Worte, Gebehrden und Handlungen Verwirrung des Verstandes aͤusserte, befragte man ihn genauer, und erhielt noch keine befriedigende Antwort. Man fand fuͤr gut, nicht mit Schaͤrfe in ihn zu dringen. Seine Mitschuͤler entfernten sich von ihm.
Hierauf schnitt er in den Tisch einen Galgen, oder bemahlte damit ein Papier, setzte sich das Messer an die Kehle oder auf die Brust, sprach vom Ersaͤufen, mit dem Zusatz, daß er es laͤngst wuͤrde gethan haben, wenn er seinen Eltern diesen Gram haͤtte verursachen koͤnnen, drohete einige seiner Mitschuͤler, und besonders auch den franzoͤsischen Lehrer zu erstechen, einen Balken herunterzureissen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/34>, abgerufen am 27.07.2024. |