Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Da er sich aber sonst gut betrug und mit anhaltendem Fleiße die Lehrstunden besuchte, gewann er das Vertrauen seiner Lehrer. Dies dauerte eine Zeit, bis die zu große Ungleichheit seiner Mitschüler und die Abneigung gegen die französische Lehrstunde, wo er den Unterricht unter seinen Fähigkeiten zu seyn glaubte, den Wunsch in ihm rege machten, die Schule bald möglichst wieder zu verlassen. Er versuchte unter mancherlei Vorwand von seinen Eltern die Erlaubniß dazu zu erhalten, die ihm aber jederzeit versagt wurde. Endlich sagte er es ihnen ohne Rückhalt, daß ihm die Anfangsgründe der Sprache, die man in der untern Klasse trieb, hinlänglich bekannt wären, und er daher jede Stunde, die er dort zubrächte, für verloren hielte. Diese aber schrieben es bei einer strengen Erziehungsart ihrer Kinder auch diesesmal seinen noch unreifen Einsichten zu, und hielten ihn noch nachdrücklicher zum fleißigen Besuche der Schule an. Nun aber änderte sich auf einmal sein ganzes Betragen. Er schien tiefsinnig und schwermüthig zu werden. Jn der Zeichenstunde, nahm er statt zu arbeiten, eine abgestumpfte Feder oder eine Mohrrübe, befestigte sie in den Tisch, und hieb den obern Theil mit einem Streich herunter. Hie-
Da er sich aber sonst gut betrug und mit anhaltendem Fleiße die Lehrstunden besuchte, gewann er das Vertrauen seiner Lehrer. Dies dauerte eine Zeit, bis die zu große Ungleichheit seiner Mitschuͤler und die Abneigung gegen die franzoͤsische Lehrstunde, wo er den Unterricht unter seinen Faͤhigkeiten zu seyn glaubte, den Wunsch in ihm rege machten, die Schule bald moͤglichst wieder zu verlassen. Er versuchte unter mancherlei Vorwand von seinen Eltern die Erlaubniß dazu zu erhalten, die ihm aber jederzeit versagt wurde. Endlich sagte er es ihnen ohne Ruͤckhalt, daß ihm die Anfangsgruͤnde der Sprache, die man in der untern Klasse trieb, hinlaͤnglich bekannt waͤren, und er daher jede Stunde, die er dort zubraͤchte, fuͤr verloren hielte. Diese aber schrieben es bei einer strengen Erziehungsart ihrer Kinder auch diesesmal seinen noch unreifen Einsichten zu, und hielten ihn noch nachdruͤcklicher zum fleißigen Besuche der Schule an. Nun aber aͤnderte sich auf einmal sein ganzes Betragen. Er schien tiefsinnig und schwermuͤthig zu werden. Jn der Zeichenstunde, nahm er statt zu arbeiten, eine abgestumpfte Feder oder eine Mohrruͤbe, befestigte sie in den Tisch, und hieb den obern Theil mit einem Streich herunter. Hie- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0033" n="29"/><lb/> Hier saß er oft unter einer gemischten Anzahl der Kleinern, deren kindisches Betragen ihm bei seinem reifern Alter nicht mehr gefiel. </p> <p>Da er sich aber sonst gut betrug und mit anhaltendem Fleiße die Lehrstunden besuchte, gewann er das Vertrauen seiner Lehrer. Dies dauerte eine Zeit, bis die zu große Ungleichheit seiner Mitschuͤler und die Abneigung gegen die franzoͤsische Lehrstunde, wo er den Unterricht unter seinen Faͤhigkeiten zu seyn glaubte, den Wunsch in ihm rege machten, die Schule bald moͤglichst wieder zu verlassen. </p> <p>Er versuchte unter mancherlei Vorwand von seinen Eltern die Erlaubniß dazu zu erhalten, die ihm aber jederzeit versagt wurde. Endlich sagte er es ihnen ohne Ruͤckhalt, daß ihm die Anfangsgruͤnde der Sprache, die man in der untern Klasse trieb, hinlaͤnglich bekannt waͤren, und er daher jede Stunde, die er dort zubraͤchte, fuͤr verloren hielte. Diese aber schrieben es bei einer strengen Erziehungsart ihrer Kinder auch diesesmal seinen noch unreifen Einsichten zu, und hielten ihn noch nachdruͤcklicher zum fleißigen Besuche der Schule an. </p> <p>Nun aber aͤnderte sich auf einmal sein ganzes Betragen. Er schien tiefsinnig und schwermuͤthig zu werden. Jn der Zeichenstunde, nahm er statt zu arbeiten, eine abgestumpfte Feder oder eine Mohrruͤbe, befestigte sie in den Tisch, und hieb den obern Theil mit einem Streich herunter. Hie-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0033]
Hier saß er oft unter einer gemischten Anzahl der Kleinern, deren kindisches Betragen ihm bei seinem reifern Alter nicht mehr gefiel.
Da er sich aber sonst gut betrug und mit anhaltendem Fleiße die Lehrstunden besuchte, gewann er das Vertrauen seiner Lehrer. Dies dauerte eine Zeit, bis die zu große Ungleichheit seiner Mitschuͤler und die Abneigung gegen die franzoͤsische Lehrstunde, wo er den Unterricht unter seinen Faͤhigkeiten zu seyn glaubte, den Wunsch in ihm rege machten, die Schule bald moͤglichst wieder zu verlassen.
Er versuchte unter mancherlei Vorwand von seinen Eltern die Erlaubniß dazu zu erhalten, die ihm aber jederzeit versagt wurde. Endlich sagte er es ihnen ohne Ruͤckhalt, daß ihm die Anfangsgruͤnde der Sprache, die man in der untern Klasse trieb, hinlaͤnglich bekannt waͤren, und er daher jede Stunde, die er dort zubraͤchte, fuͤr verloren hielte. Diese aber schrieben es bei einer strengen Erziehungsart ihrer Kinder auch diesesmal seinen noch unreifen Einsichten zu, und hielten ihn noch nachdruͤcklicher zum fleißigen Besuche der Schule an.
Nun aber aͤnderte sich auf einmal sein ganzes Betragen. Er schien tiefsinnig und schwermuͤthig zu werden. Jn der Zeichenstunde, nahm er statt zu arbeiten, eine abgestumpfte Feder oder eine Mohrruͤbe, befestigte sie in den Tisch, und hieb den obern Theil mit einem Streich herunter. Hie-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/33 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/33>, abgerufen am 27.07.2024. |