Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783."Nach meiner Einsicht dringen die philosophischen Gründe auf die Abschaffung des Gebets; allein es kann vielleicht seyn, daß die politischen das Gegentheil thun. Jch wiederhole es nochmals, daß es meine Sache nicht ist, hierüber zu urtheilen, sondern ich glaube, daß dieses niemanden anders zu beurtheilen zukömmt, als der gesetzgebenden Macht, und denen, welche dieselbe vorstellen. Jch sehe ein, daß es eine gute Ordnung und nützliche Einrichtung ist, die Jugend, besonders des Morgens, zu versammlen, und dieselbe durch eine ernsthafte und nützliche Beschäftigung zuzubereiten, den Tag so zuzubringen, wie es einem vernünftigen Geschöpfe zukömmt. Allein dies kann bei der Aufhebung des Gebets bestehen, wenn man etwas anders an die Stelle desselben setzt. Man kann z.E. gute aber sehr kurze moralische Abschnitte vorlesen lassen, welche auf das thätige Christenthum, oder welches einerlei ist, auf die Ausübung der Tugend dringen. Hier findet man keine Verschiedenheit der Meinungen. Alle Theologen und Philosophen von dem strengsten Orthodoxen an, bis auf den Bayle, Spinoza, und Epikur rufen einmüthig: ihr Menschen seyd gerecht! seyd tugendhaft! und dennoch fehlt es auf dieser Seite immer am meisten." Nun wieder zu der Geschichte dieses Unglücklichen, an dessen Verderben vielleicht nur zu sehr »Nach meiner Einsicht dringen die philosophischen Gruͤnde auf die Abschaffung des Gebets; allein es kann vielleicht seyn, daß die politischen das Gegentheil thun. Jch wiederhole es nochmals, daß es meine Sache nicht ist, hieruͤber zu urtheilen, sondern ich glaube, daß dieses niemanden anders zu beurtheilen zukoͤmmt, als der gesetzgebenden Macht, und denen, welche dieselbe vorstellen. Jch sehe ein, daß es eine gute Ordnung und nuͤtzliche Einrichtung ist, die Jugend, besonders des Morgens, zu versammlen, und dieselbe durch eine ernsthafte und nuͤtzliche Beschaͤftigung zuzubereiten, den Tag so zuzubringen, wie es einem vernuͤnftigen Geschoͤpfe zukoͤmmt. Allein dies kann bei der Aufhebung des Gebets bestehen, wenn man etwas anders an die Stelle desselben setzt. Man kann z.E. gute aber sehr kurze moralische Abschnitte vorlesen lassen, welche auf das thaͤtige Christenthum, oder welches einerlei ist, auf die Ausuͤbung der Tugend dringen. Hier findet man keine Verschiedenheit der Meinungen. Alle Theologen und Philosophen von dem strengsten Orthodoxen an, bis auf den Bayle, Spinoza, und Epikur rufen einmuͤthig: ihr Menschen seyd gerecht! seyd tugendhaft! und dennoch fehlt es auf dieser Seite immer am meisten.« Nun wieder zu der Geschichte dieses Ungluͤcklichen, an dessen Verderben vielleicht nur zu sehr <TEI> <text> <body> <div> <div> <pb facs="#f0025" n="21"/><lb/> <p>»Nach meiner Einsicht dringen die philosophischen Gruͤnde auf die Abschaffung des Gebets; allein es kann vielleicht seyn, daß die politischen das Gegentheil thun. Jch wiederhole es nochmals, daß es meine Sache nicht ist, hieruͤber zu urtheilen, sondern ich glaube, daß dieses niemanden anders zu beurtheilen zukoͤmmt, als der gesetzgebenden Macht, und denen, welche dieselbe vorstellen. </p> <p>Jch sehe ein, daß es eine gute Ordnung und nuͤtzliche Einrichtung ist, die Jugend, besonders des Morgens, zu versammlen, und dieselbe durch eine ernsthafte und nuͤtzliche Beschaͤftigung zuzubereiten, den Tag so zuzubringen, wie es einem vernuͤnftigen Geschoͤpfe zukoͤmmt. Allein dies kann bei der Aufhebung des Gebets bestehen, wenn man etwas anders an die Stelle desselben setzt. Man kann z.E. gute aber sehr kurze moralische Abschnitte vorlesen lassen, welche auf das thaͤtige Christenthum, oder welches einerlei ist, auf die Ausuͤbung der Tugend dringen. Hier findet man keine Verschiedenheit der Meinungen. Alle Theologen und Philosophen von dem strengsten Orthodoxen an, bis auf den Bayle, Spinoza, und Epikur rufen einmuͤthig: ihr Menschen seyd gerecht! seyd tugendhaft! und dennoch fehlt es auf dieser Seite immer am meisten.« </p> <p>Nun wieder zu der Geschichte dieses Ungluͤcklichen, an dessen Verderben vielleicht nur zu sehr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0025]
»Nach meiner Einsicht dringen die philosophischen Gruͤnde auf die Abschaffung des Gebets; allein es kann vielleicht seyn, daß die politischen das Gegentheil thun. Jch wiederhole es nochmals, daß es meine Sache nicht ist, hieruͤber zu urtheilen, sondern ich glaube, daß dieses niemanden anders zu beurtheilen zukoͤmmt, als der gesetzgebenden Macht, und denen, welche dieselbe vorstellen.
Jch sehe ein, daß es eine gute Ordnung und nuͤtzliche Einrichtung ist, die Jugend, besonders des Morgens, zu versammlen, und dieselbe durch eine ernsthafte und nuͤtzliche Beschaͤftigung zuzubereiten, den Tag so zuzubringen, wie es einem vernuͤnftigen Geschoͤpfe zukoͤmmt. Allein dies kann bei der Aufhebung des Gebets bestehen, wenn man etwas anders an die Stelle desselben setzt. Man kann z.E. gute aber sehr kurze moralische Abschnitte vorlesen lassen, welche auf das thaͤtige Christenthum, oder welches einerlei ist, auf die Ausuͤbung der Tugend dringen. Hier findet man keine Verschiedenheit der Meinungen. Alle Theologen und Philosophen von dem strengsten Orthodoxen an, bis auf den Bayle, Spinoza, und Epikur rufen einmuͤthig: ihr Menschen seyd gerecht! seyd tugendhaft! und dennoch fehlt es auf dieser Seite immer am meisten.«
Nun wieder zu der Geschichte dieses Ungluͤcklichen, an dessen Verderben vielleicht nur zu sehr
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/25>, abgerufen am 27.07.2024. |