Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


war, glaubte jedesmal neue Ueberzeugung für seine Meinung erhalten zu haben. Endlich ward seine Unruhe zu groß, die Verfolgungen schienen ihm immer stärker zu werden, und er bat um seine Entlassung. Vergebens versicherte ihn der Landesherr seiner Gnade, seiner Zufriedenheit, that ihm die gnädigsten Anerbietungen, alles war vergebens, er hielt alles nur für Fallstricke. Er erhielt seinen Abschied, verließ den Ort, und ward nicht ruhiger. Die Jdee von den Verfolgungen seiner Feinde quälte ihn unaufhörlich, täglich glaubte er festgenommen zu werden, ja selbst auf seinen Reisen in den entfernsten Ländern, glaubte er von der Rache seiner Feinde verfolgt zu seyn. Er kam wieder zurück, weil er nirgends Ruhe fand, schloß sich in seine Stube ein, sprach keinen als seine Frau und seine Kinder, und quälte sich unaufhörlich über die von ihm unschuldig erlittene Nachstellung seiner Feinde.

Jetzt ist er siebzig Jahr alt, zwanzig Jahr schon hat er dieses Leben geführt, hat so oft sich schon in seinen Muthmassungen getäuscht gefunden, aber nichts kann ihm die Ruhe wieder geben, die ihm das sich selbst gemachte Bild der feindlichen Rache geraubt hat.

Da er nun lange schon ein geschäftloses Leben geführt hatte, so ist zwar der erste Gedanke, daß man ihn wegen Untreue in seinen Geschäften bei dem Landesherrn verdächtig machen wollte, verschwunden, allein nun glaubt er, daß man seinen


war, glaubte jedesmal neue Ueberzeugung fuͤr seine Meinung erhalten zu haben. Endlich ward seine Unruhe zu groß, die Verfolgungen schienen ihm immer staͤrker zu werden, und er bat um seine Entlassung. Vergebens versicherte ihn der Landesherr seiner Gnade, seiner Zufriedenheit, that ihm die gnaͤdigsten Anerbietungen, alles war vergebens, er hielt alles nur fuͤr Fallstricke. Er erhielt seinen Abschied, verließ den Ort, und ward nicht ruhiger. Die Jdee von den Verfolgungen seiner Feinde quaͤlte ihn unaufhoͤrlich, taͤglich glaubte er festgenommen zu werden, ja selbst auf seinen Reisen in den entfernsten Laͤndern, glaubte er von der Rache seiner Feinde verfolgt zu seyn. Er kam wieder zuruͤck, weil er nirgends Ruhe fand, schloß sich in seine Stube ein, sprach keinen als seine Frau und seine Kinder, und quaͤlte sich unaufhoͤrlich uͤber die von ihm unschuldig erlittene Nachstellung seiner Feinde.

Jetzt ist er siebzig Jahr alt, zwanzig Jahr schon hat er dieses Leben gefuͤhrt, hat so oft sich schon in seinen Muthmassungen getaͤuscht gefunden, aber nichts kann ihm die Ruhe wieder geben, die ihm das sich selbst gemachte Bild der feindlichen Rache geraubt hat.

Da er nun lange schon ein geschaͤftloses Leben gefuͤhrt hatte, so ist zwar der erste Gedanke, daß man ihn wegen Untreue in seinen Geschaͤften bei dem Landesherrn verdaͤchtig machen wollte, verschwunden, allein nun glaubt er, daß man seinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0013" n="9"/><lb/>
war, glaubte jedesmal neue                         Ueberzeugung fu&#x0364;r seine Meinung erhalten zu haben. Endlich ward seine Unruhe                         zu groß, die Verfolgungen schienen ihm immer sta&#x0364;rker zu werden, und er bat                         um seine Entlassung. Vergebens versicherte ihn der Landesherr seiner Gnade,                         seiner Zufriedenheit, that ihm die gna&#x0364;digsten Anerbietungen, alles war                         vergebens, er hielt alles nur fu&#x0364;r Fallstricke. Er erhielt seinen Abschied,                         verließ den Ort, und ward nicht ruhiger. Die Jdee von den Verfolgungen                         seiner Feinde qua&#x0364;lte ihn unaufho&#x0364;rlich, ta&#x0364;glich glaubte er festgenommen zu                         werden, ja selbst auf seinen Reisen in den entfernsten La&#x0364;ndern, glaubte er                         von der Rache seiner Feinde verfolgt zu seyn. Er kam wieder zuru&#x0364;ck, weil er                         nirgends Ruhe fand, schloß sich in seine Stube ein, sprach keinen als seine                         Frau und seine Kinder, und qua&#x0364;lte sich unaufho&#x0364;rlich u&#x0364;ber die von ihm                         unschuldig erlittene Nachstellung seiner Feinde. </p>
          <p>Jetzt ist er siebzig Jahr alt, zwanzig Jahr schon hat er dieses Leben                         gefu&#x0364;hrt, hat so oft sich schon in seinen Muthmassungen geta&#x0364;uscht gefunden,                         aber nichts kann ihm die Ruhe wieder geben, die ihm das sich selbst gemachte                         Bild der feindlichen Rache geraubt hat. </p>
          <p>Da er nun lange schon ein gescha&#x0364;ftloses Leben gefu&#x0364;hrt hatte, so ist zwar der                         erste Gedanke, daß man ihn wegen Untreue in seinen Gescha&#x0364;ften bei dem                         Landesherrn verda&#x0364;chtig machen wollte, verschwunden, allein nun glaubt er,                         daß man seinen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0013] war, glaubte jedesmal neue Ueberzeugung fuͤr seine Meinung erhalten zu haben. Endlich ward seine Unruhe zu groß, die Verfolgungen schienen ihm immer staͤrker zu werden, und er bat um seine Entlassung. Vergebens versicherte ihn der Landesherr seiner Gnade, seiner Zufriedenheit, that ihm die gnaͤdigsten Anerbietungen, alles war vergebens, er hielt alles nur fuͤr Fallstricke. Er erhielt seinen Abschied, verließ den Ort, und ward nicht ruhiger. Die Jdee von den Verfolgungen seiner Feinde quaͤlte ihn unaufhoͤrlich, taͤglich glaubte er festgenommen zu werden, ja selbst auf seinen Reisen in den entfernsten Laͤndern, glaubte er von der Rache seiner Feinde verfolgt zu seyn. Er kam wieder zuruͤck, weil er nirgends Ruhe fand, schloß sich in seine Stube ein, sprach keinen als seine Frau und seine Kinder, und quaͤlte sich unaufhoͤrlich uͤber die von ihm unschuldig erlittene Nachstellung seiner Feinde. Jetzt ist er siebzig Jahr alt, zwanzig Jahr schon hat er dieses Leben gefuͤhrt, hat so oft sich schon in seinen Muthmassungen getaͤuscht gefunden, aber nichts kann ihm die Ruhe wieder geben, die ihm das sich selbst gemachte Bild der feindlichen Rache geraubt hat. Da er nun lange schon ein geschaͤftloses Leben gefuͤhrt hatte, so ist zwar der erste Gedanke, daß man ihn wegen Untreue in seinen Geschaͤften bei dem Landesherrn verdaͤchtig machen wollte, verschwunden, allein nun glaubt er, daß man seinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/13
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/13>, abgerufen am 23.11.2024.