Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


dacht haben, daß sie theils vor, theils hinter, theils neben dem Hause stehen.

Ein Cirkel mag nun gehend oder stehend beschrieben werden, so kann ich ihn mir doch nicht auf einmal denken; denn wenn er an sich auch noch so stille steht, so muß er sich doch immer durch meine Vorstellung bewegen, oder er muß vielmehr erst in derselben durch eine Folge mehrerer Begriffe entstehen.

Eine Reihe von Personen, die um mich her steht, beschreibt eben sowohl einen Cirkel, als eine einzelne Person, die um mich her geht, indem die Reihe die Bewegung der einzelnen Person durch ihre Ausdehnung ersetzt: ob nun gleich diese Reihe von Personen zugleich vor mir, hinter mir, und neben mir, schon wirklich befindlich ist, so beschleunigt doch dieses meine Vorstellung von dem Cirkel, den sie beschreibt, eben so wenig, als ob sie erst nach und nach dahin kämen.

Daß man sich auf die Weise ohne Widerspruch eine Bewegung in der Ruhe denkt, ist ein sonderbares Erforderniß der Eingeschränktheit unsrer Vorstellungskraft: so sagen wir, eine Reihe von Menschen steht den Berg hinauf, wie, ein Mensch geht den Berg hinauf. Mit dem Begrif hin ist nothwendig Bewegung, so wie mit stehen Ruhe verknüpft. Allein die Bewegung der einzelnen Person wird hier ebenfalls durch die Ausdehnung der ganzen Reihe ersetzt, die ich nun


dacht haben, daß sie theils vor, theils hinter, theils neben dem Hause stehen.

Ein Cirkel mag nun gehend oder stehend beschrieben werden, so kann ich ihn mir doch nicht auf einmal denken; denn wenn er an sich auch noch so stille steht, so muß er sich doch immer durch meine Vorstellung bewegen, oder er muß vielmehr erst in derselben durch eine Folge mehrerer Begriffe entstehen.

Eine Reihe von Personen, die um mich her steht, beschreibt eben sowohl einen Cirkel, als eine einzelne Person, die um mich her geht, indem die Reihe die Bewegung der einzelnen Person durch ihre Ausdehnung ersetzt: ob nun gleich diese Reihe von Personen zugleich vor mir, hinter mir, und neben mir, schon wirklich befindlich ist, so beschleunigt doch dieses meine Vorstellung von dem Cirkel, den sie beschreibt, eben so wenig, als ob sie erst nach und nach dahin kaͤmen.

Daß man sich auf die Weise ohne Widerspruch eine Bewegung in der Ruhe denkt, ist ein sonderbares Erforderniß der Eingeschraͤnktheit unsrer Vorstellungskraft: so sagen wir, eine Reihe von Menschen steht den Berg hinauf, wie, ein Mensch geht den Berg hinauf. Mit dem Begrif hin ist nothwendig Bewegung, so wie mit stehen Ruhe verknuͤpft. Allein die Bewegung der einzelnen Person wird hier ebenfalls durch die Ausdehnung der ganzen Reihe ersetzt, die ich nun

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <div>
            <p><pb facs="#f0108" n="104"/><lb/>
dacht haben, daß sie theils <hi rendition="#b">vor,</hi> theils <hi rendition="#b">hinter,</hi> theils <hi rendition="#b">neben</hi> dem Hause stehen. </p>
            <p>Ein Cirkel mag nun gehend oder stehend beschrieben werden, so kann ich ihn                         mir doch nicht <hi rendition="#b">auf einmal</hi> denken; denn wenn er an                         sich auch noch so stille steht, so muß er sich doch immer durch meine                         Vorstellung <hi rendition="#b">bewegen,</hi> oder er muß vielmehr erst in                         derselben durch eine Folge mehrerer Begriffe entstehen. </p>
            <p>Eine Reihe von Personen, die um mich her <hi rendition="#b">steht,</hi> beschreibt eben sowohl einen Cirkel, als eine einzelne Person, die um mich                         her <hi rendition="#b">geht,</hi> indem die Reihe die <hi rendition="#b">Bewegung</hi> der einzelnen Person durch ihre <hi rendition="#b">Ausdehnung</hi> ersetzt: ob nun gleich diese Reihe von Personen                         zugleich <hi rendition="#b">vor</hi> mir, <hi rendition="#b">hinter</hi> mir, und <hi rendition="#b">neben</hi> mir, schon wirklich befindlich ist,                         so beschleunigt doch dieses meine Vorstellung von dem Cirkel, den sie                         beschreibt, eben so wenig, als ob sie erst nach und nach dahin ka&#x0364;men. </p>
            <p>Daß man sich auf die Weise ohne Widerspruch eine Bewegung in der Ruhe denkt,                         ist ein sonderbares Erforderniß der Eingeschra&#x0364;nktheit unsrer                         Vorstellungskraft: so sagen wir, <hi rendition="#b">eine Reihe von Menschen                             steht den Berg hinauf,</hi> wie, <hi rendition="#b">ein Mensch geht den                             Berg hinauf.</hi> Mit dem Begrif <hi rendition="#b">hin</hi> ist                         nothwendig Bewegung, so wie mit <hi rendition="#b">stehen</hi> Ruhe                         verknu&#x0364;pft. Allein die <hi rendition="#b">Bewegung</hi> der einzelnen Person                         wird hier ebenfalls durch die <hi rendition="#b">Ausdehnung</hi> der ganzen                         Reihe ersetzt, die ich nun<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0108] dacht haben, daß sie theils vor, theils hinter, theils neben dem Hause stehen. Ein Cirkel mag nun gehend oder stehend beschrieben werden, so kann ich ihn mir doch nicht auf einmal denken; denn wenn er an sich auch noch so stille steht, so muß er sich doch immer durch meine Vorstellung bewegen, oder er muß vielmehr erst in derselben durch eine Folge mehrerer Begriffe entstehen. Eine Reihe von Personen, die um mich her steht, beschreibt eben sowohl einen Cirkel, als eine einzelne Person, die um mich her geht, indem die Reihe die Bewegung der einzelnen Person durch ihre Ausdehnung ersetzt: ob nun gleich diese Reihe von Personen zugleich vor mir, hinter mir, und neben mir, schon wirklich befindlich ist, so beschleunigt doch dieses meine Vorstellung von dem Cirkel, den sie beschreibt, eben so wenig, als ob sie erst nach und nach dahin kaͤmen. Daß man sich auf die Weise ohne Widerspruch eine Bewegung in der Ruhe denkt, ist ein sonderbares Erforderniß der Eingeschraͤnktheit unsrer Vorstellungskraft: so sagen wir, eine Reihe von Menschen steht den Berg hinauf, wie, ein Mensch geht den Berg hinauf. Mit dem Begrif hin ist nothwendig Bewegung, so wie mit stehen Ruhe verknuͤpft. Allein die Bewegung der einzelnen Person wird hier ebenfalls durch die Ausdehnung der ganzen Reihe ersetzt, die ich nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/108
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/108>, abgerufen am 24.11.2024.