Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.
Der V. muthmaßt, daß die Fertigkeit im Schreiben mit aller grammatischen Sprachrichtigkeit, keineswegs eine Folge der damit verknüpften Gedanken, sondern bloß die Folge eines guten Gedächtnisses ist, welches das Geschriebene, so wie es dasselbe erhalten hat, treulich wieder darstellt, weil es sonst nicht so grammatischrichtig hätte ausfallen können. Anmerkung. Die Zweifel, die der V. hier äußert, betreffen nicht mehr die Lehrart der Taubstummen als die Lehrart aller Kinder überhaupt. Laßt uns sehen, wie lernt ein Kind sprechen? Das bloße Aussprechen einzelner Töne und ganzer Wörter lernt es durch das Nachahmen. Die Bedeutung der Wörter lernt es durch Darstellung der Gegenstände selbst bei ihrer Benennung. So lernt es z.B. die Bedeutung des Worts Brod dadurch, daß man zu wiederholten malen dieses Wort ausspricht, indem man zugleich auf das gegenwärtige Brod hinweist. Wie lernt es aber die Bedeutung solcher Worte, deren Gegenstände nicht sinnlich darstellbar sind? Wie lernt es z.B. die Bedeutung des Wortes Verstand. Es hat zwar hierin einen Vorzug vor dem Taubstummen, daß es das Wort nach-
Der V. muthmaßt, daß die Fertigkeit im Schreiben mit aller grammatischen Sprachrichtigkeit, keineswegs eine Folge der damit verknuͤpften Gedanken, sondern bloß die Folge eines guten Gedaͤchtnisses ist, welches das Geschriebene, so wie es dasselbe erhalten hat, treulich wieder darstellt, weil es sonst nicht so grammatischrichtig haͤtte ausfallen koͤnnen. Anmerkung. Die Zweifel, die der V. hier aͤußert, betreffen nicht mehr die Lehrart der Taubstummen als die Lehrart aller Kinder uͤberhaupt. Laßt uns sehen, wie lernt ein Kind sprechen? Das bloße Aussprechen einzelner Toͤne und ganzer Woͤrter lernt es durch das Nachahmen. Die Bedeutung der Woͤrter lernt es durch Darstellung der Gegenstaͤnde selbst bei ihrer Benennung. So lernt es z.B. die Bedeutung des Worts Brod dadurch, daß man zu wiederholten malen dieses Wort ausspricht, indem man zugleich auf das gegenwaͤrtige Brod hinweist. Wie lernt es aber die Bedeutung solcher Worte, deren Gegenstaͤnde nicht sinnlich darstellbar sind? Wie lernt es z.B. die Bedeutung des Wortes Verstand. Es hat zwar hierin einen Vorzug vor dem Taubstummen, daß es das Wort nach- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/> Veraͤnderung der Wortfolge, Mangel der Artikel, Huͤlfswoͤrter u.s.w. sehr unvollkommen seyn.</p> <p>Der V. muthmaßt, daß die Fertigkeit im Schreiben mit aller grammatischen Sprachrichtigkeit, keineswegs eine Folge der damit verknuͤpften Gedanken, sondern bloß die Folge eines guten <hi rendition="#b">Gedaͤchtnisses</hi> ist, welches das Geschriebene, so wie es dasselbe erhalten hat, treulich wieder darstellt, weil <choice><corr>es sonst</corr><sic>essonst</sic></choice> nicht so grammatischrichtig haͤtte ausfallen koͤnnen.</p> <div n="3"> <head>Anmerkung.</head><lb/> <p>Die Zweifel, die der V. hier aͤußert, betreffen nicht mehr die Lehrart der <hi rendition="#b">Taubstummen</hi> als die Lehrart <hi rendition="#b">aller Kinder</hi> uͤberhaupt. </p> <p>Laßt uns sehen, wie lernt ein Kind sprechen? Das bloße <hi rendition="#b">Aussprechen</hi> einzelner Toͤne und ganzer Woͤrter lernt es durch das <hi rendition="#b">Nachahmen.</hi> Die <hi rendition="#b">Bedeutung</hi> der Woͤrter lernt es durch Darstellung der Gegenstaͤnde selbst bei ihrer Benennung. So lernt es z.B. die Bedeutung des Worts <hi rendition="#b">Brod</hi> dadurch, daß man zu wiederholten malen dieses Wort ausspricht, indem man zugleich auf das gegenwaͤrtige Brod hinweist.</p> <p>Wie lernt es aber die Bedeutung solcher Worte, deren Gegenstaͤnde nicht sinnlich darstellbar sind? Wie lernt es z.B. die Bedeutung des Wortes <hi rendition="#b">Verstand.</hi> Es hat zwar hierin einen Vorzug vor dem <hi rendition="#b">Taubstummen,</hi> daß es das Wort <hi rendition="#b">nach-<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0054]
Veraͤnderung der Wortfolge, Mangel der Artikel, Huͤlfswoͤrter u.s.w. sehr unvollkommen seyn.
Der V. muthmaßt, daß die Fertigkeit im Schreiben mit aller grammatischen Sprachrichtigkeit, keineswegs eine Folge der damit verknuͤpften Gedanken, sondern bloß die Folge eines guten Gedaͤchtnisses ist, welches das Geschriebene, so wie es dasselbe erhalten hat, treulich wieder darstellt, weil es sonst nicht so grammatischrichtig haͤtte ausfallen koͤnnen.
Anmerkung.
Die Zweifel, die der V. hier aͤußert, betreffen nicht mehr die Lehrart der Taubstummen als die Lehrart aller Kinder uͤberhaupt.
Laßt uns sehen, wie lernt ein Kind sprechen? Das bloße Aussprechen einzelner Toͤne und ganzer Woͤrter lernt es durch das Nachahmen. Die Bedeutung der Woͤrter lernt es durch Darstellung der Gegenstaͤnde selbst bei ihrer Benennung. So lernt es z.B. die Bedeutung des Worts Brod dadurch, daß man zu wiederholten malen dieses Wort ausspricht, indem man zugleich auf das gegenwaͤrtige Brod hinweist.
Wie lernt es aber die Bedeutung solcher Worte, deren Gegenstaͤnde nicht sinnlich darstellbar sind? Wie lernt es z.B. die Bedeutung des Wortes Verstand. Es hat zwar hierin einen Vorzug vor dem Taubstummen, daß es das Wort nach-
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