Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.
Gegen die Behauptung, daß die Gestalt der Buchstaben nicht ausgezeichnet genug ist, um unwandelbare Vorstellungen in der Einbildungskraft zurück zu lassen, beruft sich der V. auf die Erfahrung, indem die Taubstummen in einer sehr kurzen Zeit, die einzelnen Buchstaben, auf Befragen, auch in Abwesenheit des Geschriebenen, durch ihr Handalphabet darzustellen lernen. Die geschriebenen Buchstaben sind freilich schwer im Gedächtniß zu behalten, wenn man sie an sich abstrahirt von dem Grunde, worauf sie geschrieben sind, betrachtet. Nimmt man hingegen diesen zu Hülfe, so befördert die beständige Abwechselung der Farben (das Schwarze der Buchstaben mit dem Weißen des Grundes) ihren Eindruck in der Einbildungskraft. Es ist nicht an dem, daß wir immer in der uns geläufigen Tonsprache denken. Wir denken sehr oft ohne alle Sprache, die Einbildungskraft reicht uns eine Menge Vorstellungen dar, wozu wir
Gegen die Behauptung, daß die Gestalt der Buchstaben nicht ausgezeichnet genug ist, um unwandelbare Vorstellungen in der Einbildungskraft zuruͤck zu lassen, beruft sich der V. auf die Erfahrung, indem die Taubstummen in einer sehr kurzen Zeit, die einzelnen Buchstaben, auf Befragen, auch in Abwesenheit des Geschriebenen, durch ihr Handalphabet darzustellen lernen. Die geschriebenen Buchstaben sind freilich schwer im Gedaͤchtniß zu behalten, wenn man sie an sich abstrahirt von dem Grunde, worauf sie geschrieben sind, betrachtet. Nimmt man hingegen diesen zu Huͤlfe, so befoͤrdert die bestaͤndige Abwechselung der Farben (das Schwarze der Buchstaben mit dem Weißen des Grundes) ihren Eindruck in der Einbildungskraft. Es ist nicht an dem, daß wir immer in der uns gelaͤufigen Tonsprache denken. Wir denken sehr oft ohne alle Sprache, die Einbildungskraft reicht uns eine Menge Vorstellungen dar, wozu wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0051" n="51"/><lb/> stab andeutet, dieses <choice><corr>wiederholet</corr><sic>wiederholte</sic></choice> er einigemal, so daß er seine Augen auf das Wort richtet, und alle die Buchstaben in ihrer Ordnung bezeichnet. Alsdann kehrt er die Augen von dem Worte weg, und bezeichnet dieselben Buchstaben in derselben Ordnung durch seine Daktylologie. Darauf muß er wieder dieses Wort, ohne es vor sich geschrieben zu haben, von seinem Handalphabet in das gewoͤhnliche Alphabet abschreiben.</p> <p>Gegen die Behauptung, daß die Gestalt der Buchstaben nicht ausgezeichnet genug ist, um unwandelbare Vorstellungen in der Einbildungskraft zuruͤck zu lassen, beruft sich der V. auf die Erfahrung, indem die Taubstummen in einer sehr kurzen Zeit, die einzelnen Buchstaben, auf Befragen, auch in Abwesenheit des Geschriebenen, durch ihr Handalphabet darzustellen lernen.</p> <p>Die geschriebenen Buchstaben sind freilich schwer im Gedaͤchtniß zu behalten, wenn man sie an sich abstrahirt von dem Grunde, worauf sie geschrieben sind, betrachtet. Nimmt man hingegen diesen zu Huͤlfe, so befoͤrdert die bestaͤndige Abwechselung der Farben (das Schwarze der Buchstaben mit dem Weißen des Grundes) ihren Eindruck in der Einbildungskraft.</p> <p>Es ist nicht an dem, daß wir immer in der uns gelaͤufigen <hi rendition="#b">Tonsprache</hi> denken. Wir denken sehr oft ohne alle Sprache, die Einbildungskraft reicht uns eine Menge Vorstellungen dar, wozu wir<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0051]
stab andeutet, dieses wiederholet er einigemal, so daß er seine Augen auf das Wort richtet, und alle die Buchstaben in ihrer Ordnung bezeichnet. Alsdann kehrt er die Augen von dem Worte weg, und bezeichnet dieselben Buchstaben in derselben Ordnung durch seine Daktylologie. Darauf muß er wieder dieses Wort, ohne es vor sich geschrieben zu haben, von seinem Handalphabet in das gewoͤhnliche Alphabet abschreiben.
Gegen die Behauptung, daß die Gestalt der Buchstaben nicht ausgezeichnet genug ist, um unwandelbare Vorstellungen in der Einbildungskraft zuruͤck zu lassen, beruft sich der V. auf die Erfahrung, indem die Taubstummen in einer sehr kurzen Zeit, die einzelnen Buchstaben, auf Befragen, auch in Abwesenheit des Geschriebenen, durch ihr Handalphabet darzustellen lernen.
Die geschriebenen Buchstaben sind freilich schwer im Gedaͤchtniß zu behalten, wenn man sie an sich abstrahirt von dem Grunde, worauf sie geschrieben sind, betrachtet. Nimmt man hingegen diesen zu Huͤlfe, so befoͤrdert die bestaͤndige Abwechselung der Farben (das Schwarze der Buchstaben mit dem Weißen des Grundes) ihren Eindruck in der Einbildungskraft.
Es ist nicht an dem, daß wir immer in der uns gelaͤufigen Tonsprache denken. Wir denken sehr oft ohne alle Sprache, die Einbildungskraft reicht uns eine Menge Vorstellungen dar, wozu wir
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |