Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.Das Schwanken und Taumeln der Berauschten und Fieberhaften, das Zittern der Alten und Schwächlichen, so wie auch Schwindel hat mit dem Stottern viel Aehnliches, und läßt sich auf eben die Art erklären. Nun zur Erklärung des vorgelegten psychologischen Phänomens. Dieser berühmte Gelehrte erzählt von sich: er habe zu eben der Zeit in geschwinder abwechselnder Folge, viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben müssen, "wobei die Gegenstände fast durchgehends von sehr unähnlicher Art waren." Es entstunden in ihm also verschiedene Jdeenreihen, die zugleich auf die Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander durchkreuzen und in Verwirrung bringen, je mehr die Aufmerksamkeit immer auf etwas anders gestoßen ward. Besonders bei einem Manne, der zu anhaltenden bündigen Betrachtungen gewohnt ist, und dergleichen geringfügige Geschäfte mit Unlust zu verrichten pflegt. Seine Aufmerksamkeit wurde durch die große und ungewohnte Vertheilung geschwächt, und zuletzt so betäubt, daß sie sich nicht mehr vom Bewustseyn des Vorsatzes lenken ließ. Die Seele dieses Selbstbeobachters konnte, wie aus seiner Erzählung erhellt, in Ansehung der spekulativen Jdeen, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten. Nicht aber die Funktion der wirksamen Jdeen die in die Gliedmaße des Das Schwanken und Taumeln der Berauschten und Fieberhaften, das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen, so wie auch Schwindel hat mit dem Stottern viel Aehnliches, und laͤßt sich auf eben die Art erklaͤren. Nun zur Erklaͤrung des vorgelegten psychologischen Phaͤnomens. Dieser beruͤhmte Gelehrte erzaͤhlt von sich: er habe zu eben der Zeit in geschwinder abwechselnder Folge, viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, »wobei die Gegenstaͤnde fast durchgehends von sehr unaͤhnlicher Art waren.« Es entstunden in ihm also verschiedene Jdeenreihen, die zugleich auf die Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander durchkreuzen und in Verwirrung bringen, je mehr die Aufmerksamkeit immer auf etwas anders gestoßen ward. Besonders bei einem Manne, der zu anhaltenden buͤndigen Betrachtungen gewohnt ist, und dergleichen geringfuͤgige Geschaͤfte mit Unlust zu verrichten pflegt. Seine Aufmerksamkeit wurde durch die große und ungewohnte Vertheilung geschwaͤcht, und zuletzt so betaͤubt, daß sie sich nicht mehr vom Bewustseyn des Vorsatzes lenken ließ. Die Seele dieses Selbstbeobachters konnte, wie aus seiner Erzaͤhlung erhellt, in Ansehung der spekulativen Jdeen, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten. Nicht aber die Funktion der wirksamen Jdeen die in die Gliedmaße des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0035" n="35"/><lb/> <p>Das Schwanken und Taumeln der Berauschten und Fieberhaften, das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen, so wie auch Schwindel hat mit dem Stottern viel Aehnliches, und laͤßt sich auf eben die Art erklaͤren. Nun zur Erklaͤrung des vorgelegten psychologischen Phaͤnomens. </p> <p>Dieser beruͤhmte Gelehrte erzaͤhlt von sich: er habe zu eben der Zeit in geschwinder abwechselnder Folge, viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, »wobei die Gegenstaͤnde fast durchgehends von sehr unaͤhnlicher Art waren.« Es entstunden in ihm also verschiedene Jdeenreihen, die zugleich auf die Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander durchkreuzen und in Verwirrung bringen, je mehr die Aufmerksamkeit immer auf etwas anders gestoßen ward. Besonders bei einem Manne, der zu anhaltenden buͤndigen Betrachtungen gewohnt ist, und dergleichen geringfuͤgige Geschaͤfte mit Unlust zu verrichten pflegt. Seine Aufmerksamkeit wurde durch die große und ungewohnte Vertheilung geschwaͤcht, und zuletzt so betaͤubt, daß sie sich nicht mehr vom Bewustseyn des Vorsatzes lenken ließ.</p> <p>Die Seele dieses Selbstbeobachters konnte, wie aus seiner Erzaͤhlung erhellt, in Ansehung der spekulativen Jdeen, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten. Nicht aber die Funktion der wirksamen Jdeen die in die Gliedmaße des<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
Das Schwanken und Taumeln der Berauschten und Fieberhaften, das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen, so wie auch Schwindel hat mit dem Stottern viel Aehnliches, und laͤßt sich auf eben die Art erklaͤren. Nun zur Erklaͤrung des vorgelegten psychologischen Phaͤnomens.
Dieser beruͤhmte Gelehrte erzaͤhlt von sich: er habe zu eben der Zeit in geschwinder abwechselnder Folge, viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, »wobei die Gegenstaͤnde fast durchgehends von sehr unaͤhnlicher Art waren.« Es entstunden in ihm also verschiedene Jdeenreihen, die zugleich auf die Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander durchkreuzen und in Verwirrung bringen, je mehr die Aufmerksamkeit immer auf etwas anders gestoßen ward. Besonders bei einem Manne, der zu anhaltenden buͤndigen Betrachtungen gewohnt ist, und dergleichen geringfuͤgige Geschaͤfte mit Unlust zu verrichten pflegt. Seine Aufmerksamkeit wurde durch die große und ungewohnte Vertheilung geschwaͤcht, und zuletzt so betaͤubt, daß sie sich nicht mehr vom Bewustseyn des Vorsatzes lenken ließ.
Die Seele dieses Selbstbeobachters konnte, wie aus seiner Erzaͤhlung erhellt, in Ansehung der spekulativen Jdeen, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten. Nicht aber die Funktion der wirksamen Jdeen die in die Gliedmaße des
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