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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

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Zweites Stück.
1-6.

Ein Mann von vierzig Jahren war einige Zeit an der Zunge, den Händen und Füßen völlig gelähmt. Nachher wurde er so weit wieder hergestellt, daß er die Füße vollkommen brauchen konnte, auch die Hände einigermaßen; aber in Ansehung der Sprache ereignete sich folgende merkwürdige Erscheinung.

Er war schlechterdings nicht im Stande irgend ein Wort deutlich und vernehmlich hervorzubringen, weder von selbst aus eigenem Triebe, noch wenn man ihm die Worte laut und langsam vorsagte, hingegen konnte er sehr fertig lesen; so daß man kaum einen Fehler an seinen Sprachorganen bemerkte.

Der Verfasser erklärt diese merkwürdige psychologische Erscheinung auf folgende Weise. Um unsere Sprachwerkzeuge zur Hervorbringung eines Wortes in Bewegung zu setzen, ist es nothwendig, daß dessen Vorstellung vorher in unsrer Seele gegenwärtig sey. Diese Vorstellung muß einen gewissen Grad von Stärke haben, überschreitet sie denselben, so wirkt sie zu lebhaft, und es entsteht ein geschwindes undeutliches Plaudern, oder auch ein Stottern. Erreicht sie ihn nicht, so ist sie unvermögend die Würkung überhaupt hervorzubringen.


Zweites Stuͤck.
1-6.

Ein Mann von vierzig Jahren war einige Zeit an der Zunge, den Haͤnden und Fuͤßen voͤllig gelaͤhmt. Nachher wurde er so weit wieder hergestellt, daß er die Fuͤße vollkommen brauchen konnte, auch die Haͤnde einigermaßen; aber in Ansehung der Sprache ereignete sich folgende merkwuͤrdige Erscheinung.

Er war schlechterdings nicht im Stande irgend ein Wort deutlich und vernehmlich hervorzubringen, weder von selbst aus eigenem Triebe, noch wenn man ihm die Worte laut und langsam vorsagte, hingegen konnte er sehr fertig lesen; so daß man kaum einen Fehler an seinen Sprachorganen bemerkte.

Der Verfasser erklaͤrt diese merkwuͤrdige psychologische Erscheinung auf folgende Weise. Um unsere Sprachwerkzeuge zur Hervorbringung eines Wortes in Bewegung zu setzen, ist es nothwendig, daß dessen Vorstellung vorher in unsrer Seele gegenwaͤrtig sey. Diese Vorstellung muß einen gewissen Grad von Staͤrke haben, uͤberschreitet sie denselben, so wirkt sie zu lebhaft, und es entsteht ein geschwindes undeutliches Plaudern, oder auch ein Stottern. Erreicht sie ihn nicht, so ist sie unvermoͤgend die Wuͤrkung uͤberhaupt hervorzubringen.

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[114/0114] Zweites Stuͤck. 1-6. Ein Mann von vierzig Jahren war einige Zeit an der Zunge, den Haͤnden und Fuͤßen voͤllig gelaͤhmt. Nachher wurde er so weit wieder hergestellt, daß er die Fuͤße vollkommen brauchen konnte, auch die Haͤnde einigermaßen; aber in Ansehung der Sprache ereignete sich folgende merkwuͤrdige Erscheinung. Er war schlechterdings nicht im Stande irgend ein Wort deutlich und vernehmlich hervorzubringen, weder von selbst aus eigenem Triebe, noch wenn man ihm die Worte laut und langsam vorsagte, hingegen konnte er sehr fertig lesen; so daß man kaum einen Fehler an seinen Sprachorganen bemerkte. Der Verfasser erklaͤrt diese merkwuͤrdige psychologische Erscheinung auf folgende Weise. Um unsere Sprachwerkzeuge zur Hervorbringung eines Wortes in Bewegung zu setzen, ist es nothwendig, daß dessen Vorstellung vorher in unsrer Seele gegenwaͤrtig sey. Diese Vorstellung muß einen gewissen Grad von Staͤrke haben, uͤberschreitet sie denselben, so wirkt sie zu lebhaft, und es entsteht ein geschwindes undeutliches Plaudern, oder auch ein Stottern. Erreicht sie ihn nicht, so ist sie unvermoͤgend die Wuͤrkung uͤberhaupt hervorzubringen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/114>, abgerufen am 26.11.2024.