Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
Die Sinnenwelt lieget da -- und wir schreiben aus der irrdischen Hülle das unwandelbare auf die Ausdehnung hin: die Ausdehnung wird Abdruck -- in Formen geistigen Empfindens kleidet sich die Materie in harmonische Darstellung der hingebildeten Seele. Die Sinnenwelt ist in der Seele, ehe diese noch mit einem Blick über die ausdehnende Oberfläche hinsehe: denn die Sinnenwelt ist sinnliche Anschauung der ewigen Denkformen, die alle unendlichen Geisterarten ausser Gott hin befassen. Was wollen wir, daß uns Erfahrung von den Gesetzen der Natur lehre -- Anatomie von den ewigen stellenden Formen der Zeugung? -- Finden Sinne etwas mehr als Werkzeuge, durch welche die Natur arbeitet? -- Mag Anatomie, mögen Mikroscope die höchste mögliche Vollendung erreichen -- nichts haben wir zu hoffen, als hundert Hypothesen noch zu den hunderten, die da sind -- nichts als noch staunendern Anblick der ins unendlich fortge-
Die Sinnenwelt lieget da — und wir schreiben aus der irrdischen Huͤlle das unwandelbare auf die Ausdehnung hin: die Ausdehnung wird Abdruck — in Formen geistigen Empfindens kleidet sich die Materie in harmonische Darstellung der hingebildeten Seele. Die Sinnenwelt ist in der Seele, ehe diese noch mit einem Blick uͤber die ausdehnende Oberflaͤche hinsehe: denn die Sinnenwelt ist sinnliche Anschauung der ewigen Denkformen, die alle unendlichen Geisterarten ausser Gott hin befassen. Was wollen wir, daß uns Erfahrung von den Gesetzen der Natur lehre — Anatomie von den ewigen stellenden Formen der Zeugung? — Finden Sinne etwas mehr als Werkzeuge, durch welche die Natur arbeitet? — Mag Anatomie, moͤgen Mikroscope die hoͤchste moͤgliche Vollendung erreichen — nichts haben wir zu hoffen, als hundert Hypothesen noch zu den hunderten, die da sind — nichts als noch staunendern Anblick der ins unendlich fortge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0009" n="9"/><lb/> Wege des Suchens, als immer blendenden und bald untergehenden leeren Hypothesenschein. — Raͤthsel — <hi rendition="#b">Leben aus todten in die innerste Lebensorgane hingestellten Massen hervorgehen; Menschen Menschen zeugen, Menschen als Schoͤpfer in bewußtlose Massen zuruͤcksinken zu sehen — ! —</hi> Jst es Schicksal, daß wir aus dem finstern ins finstere gehen — oder ist es Standpunkt, der vor unser Auge den Flor ziehet? —</p> <p>Die Sinnenwelt lieget da — und wir schreiben aus der irrdischen Huͤlle das unwandelbare auf die Ausdehnung hin: die Ausdehnung wird Abdruck — in Formen <choice><corr>geistigen </corr><sic>geistiger</sic></choice> Empfindens kleidet sich die Materie in harmonische Darstellung der hingebildeten Seele. Die Sinnenwelt ist in der Seele, ehe diese noch mit einem Blick uͤber die ausdehnende Oberflaͤche hinsehe: denn die Sinnenwelt ist sinnliche Anschauung der ewigen Denkformen, die alle unendlichen Geisterarten ausser Gott hin befassen. Was wollen wir, daß uns Erfahrung von den Gesetzen der Natur lehre — Anatomie von den ewigen stellenden Formen der Zeugung? — Finden Sinne etwas mehr als Werkzeuge, durch welche die Natur arbeitet? — Mag Anatomie, moͤgen Mikroscope die hoͤchste moͤgliche Vollendung erreichen — nichts haben wir zu hoffen, als hundert Hypothesen noch zu den hunderten, die da sind — nichts als noch staunendern Anblick der ins unendlich fortge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0009]
Wege des Suchens, als immer blendenden und bald untergehenden leeren Hypothesenschein. — Raͤthsel — Leben aus todten in die innerste Lebensorgane hingestellten Massen hervorgehen; Menschen Menschen zeugen, Menschen als Schoͤpfer in bewußtlose Massen zuruͤcksinken zu sehen — ! — Jst es Schicksal, daß wir aus dem finstern ins finstere gehen — oder ist es Standpunkt, der vor unser Auge den Flor ziehet? —
Die Sinnenwelt lieget da — und wir schreiben aus der irrdischen Huͤlle das unwandelbare auf die Ausdehnung hin: die Ausdehnung wird Abdruck — in Formen geistigen Empfindens kleidet sich die Materie in harmonische Darstellung der hingebildeten Seele. Die Sinnenwelt ist in der Seele, ehe diese noch mit einem Blick uͤber die ausdehnende Oberflaͤche hinsehe: denn die Sinnenwelt ist sinnliche Anschauung der ewigen Denkformen, die alle unendlichen Geisterarten ausser Gott hin befassen. Was wollen wir, daß uns Erfahrung von den Gesetzen der Natur lehre — Anatomie von den ewigen stellenden Formen der Zeugung? — Finden Sinne etwas mehr als Werkzeuge, durch welche die Natur arbeitet? — Mag Anatomie, moͤgen Mikroscope die hoͤchste moͤgliche Vollendung erreichen — nichts haben wir zu hoffen, als hundert Hypothesen noch zu den hunderten, die da sind — nichts als noch staunendern Anblick der ins unendlich fortge-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/9>, abgerufen am 16.02.2025. |