Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


man darf nur einen von Euch gesehen haben, ihr neidischen grämlichen Geschöpfe! die ihr freilich nichts habt, was ihr geben könnt, das einem andern die Freude seines Daseyns rege machte, und darum weist man Euch wie prahlhafte Bettler vor allen Thüren ab, wo ihr mit eurem armseligen Stolze anklopft. Und nun habt ihr, um euch zu rächen, ein System des Menschenhasses, der Verschwörung wider Gottes Natur aufgeführt, und habt die ganze Welt vergiftet.

Jch weiß es, und fühl' es tief, daß Sie lügen. Allein seyn, heißt ewig nur sein Gesicht bis zum Ekel im Spiegel sehen. Jch weiß nicht, welch ein wunderbarer Schauder mich ergreift, wenn ich mir zwei sich ganz gleiche Dinge vorstelle, so wie einen Menschen und sein Bild im Spiegel. Jch habe darüber nur verworrene Gedanken. Vielleicht so: Die Tugend, sagten die Alten, oder wie sie wohl eigentlich wollten verstanden seyn, das Vollkommene liegt in der Mitte, oder: Wo Du etwas Schönes Gutes oder Wahres entdeckst, da ist nothwendig jede Abweichung hinüber und herüber, das Gegentheil davon. Nun wird alles, was schön und erfreulich ist, durch das Aehnliche hervorgebracht, wo wir auf eine Aehnlichkeit stoßen, da öfnet sich unser Herz und unser ganzes Wesen durchbebt ein angenehmes Gefühl. Selbst die Erinnerung an überstandene Leiden, an Schmerz ist süß, weil sie uns eine, jenen Leiden ähnliche


man darf nur einen von Euch gesehen haben, ihr neidischen graͤmlichen Geschoͤpfe! die ihr freilich nichts habt, was ihr geben koͤnnt, das einem andern die Freude seines Daseyns rege machte, und darum weist man Euch wie prahlhafte Bettler vor allen Thuͤren ab, wo ihr mit eurem armseligen Stolze anklopft. Und nun habt ihr, um euch zu raͤchen, ein System des Menschenhasses, der Verschwoͤrung wider Gottes Natur aufgefuͤhrt, und habt die ganze Welt vergiftet.

Jch weiß es, und fuͤhl' es tief, daß Sie luͤgen. Allein seyn, heißt ewig nur sein Gesicht bis zum Ekel im Spiegel sehen. Jch weiß nicht, welch ein wunderbarer Schauder mich ergreift, wenn ich mir zwei sich ganz gleiche Dinge vorstelle, so wie einen Menschen und sein Bild im Spiegel. Jch habe daruͤber nur verworrene Gedanken. Vielleicht so: Die Tugend, sagten die Alten, oder wie sie wohl eigentlich wollten verstanden seyn, das Vollkommene liegt in der Mitte, oder: Wo Du etwas Schoͤnes Gutes oder Wahres entdeckst, da ist nothwendig jede Abweichung hinuͤber und heruͤber, das Gegentheil davon. Nun wird alles, was schoͤn und erfreulich ist, durch das Aehnliche hervorgebracht, wo wir auf eine Aehnlichkeit stoßen, da oͤfnet sich unser Herz und unser ganzes Wesen durchbebt ein angenehmes Gefuͤhl. Selbst die Erinnerung an uͤberstandene Leiden, an Schmerz ist suͤß, weil sie uns eine, jenen Leiden aͤhnliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0116" n="116"/><lb/>
man darf                         nur einen von Euch gesehen haben, ihr neidischen gra&#x0364;mlichen Gescho&#x0364;pfe! die                         ihr freilich nichts habt, was ihr geben ko&#x0364;nnt, das einem andern die Freude                         seines Daseyns rege machte, und darum weist man Euch wie prahlhafte Bettler                         vor allen Thu&#x0364;ren ab, wo ihr mit eurem armseligen Stolze anklopft. Und nun                         habt ihr, um euch zu ra&#x0364;chen, ein System des Menschenhasses, der Verschwo&#x0364;rung                         wider Gottes Natur aufgefu&#x0364;hrt, und habt die ganze Welt vergiftet.</p>
              <p>Jch weiß es, und fu&#x0364;hl' es tief, daß Sie lu&#x0364;gen. Allein seyn, heißt ewig nur                         sein Gesicht bis zum Ekel im Spiegel sehen. Jch weiß nicht, welch ein                         wunderbarer Schauder mich ergreift, wenn ich mir zwei sich ganz gleiche                         Dinge vorstelle, so wie einen Menschen und sein Bild im Spiegel. Jch habe                         daru&#x0364;ber nur verworrene Gedanken. Vielleicht so: Die Tugend, sagten die                         Alten, oder wie sie wohl eigentlich wollten verstanden seyn, das Vollkommene                         liegt in der Mitte, oder: Wo Du etwas Scho&#x0364;nes Gutes oder Wahres entdeckst,                         da ist nothwendig jede Abweichung hinu&#x0364;ber und heru&#x0364;ber, das Gegentheil davon.                         Nun wird alles, was scho&#x0364;n und erfreulich ist, durch das Aehnliche                         hervorgebracht, wo wir auf eine Aehnlichkeit stoßen, da o&#x0364;fnet sich unser                         Herz und unser ganzes Wesen durchbebt ein angenehmes Gefu&#x0364;hl. Selbst die                         Erinnerung an u&#x0364;berstandene Leiden, an Schmerz ist su&#x0364;ß, weil sie uns eine,                         jenen Leiden <hi rendition="#b">a&#x0364;hnliche</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0116] man darf nur einen von Euch gesehen haben, ihr neidischen graͤmlichen Geschoͤpfe! die ihr freilich nichts habt, was ihr geben koͤnnt, das einem andern die Freude seines Daseyns rege machte, und darum weist man Euch wie prahlhafte Bettler vor allen Thuͤren ab, wo ihr mit eurem armseligen Stolze anklopft. Und nun habt ihr, um euch zu raͤchen, ein System des Menschenhasses, der Verschwoͤrung wider Gottes Natur aufgefuͤhrt, und habt die ganze Welt vergiftet. Jch weiß es, und fuͤhl' es tief, daß Sie luͤgen. Allein seyn, heißt ewig nur sein Gesicht bis zum Ekel im Spiegel sehen. Jch weiß nicht, welch ein wunderbarer Schauder mich ergreift, wenn ich mir zwei sich ganz gleiche Dinge vorstelle, so wie einen Menschen und sein Bild im Spiegel. Jch habe daruͤber nur verworrene Gedanken. Vielleicht so: Die Tugend, sagten die Alten, oder wie sie wohl eigentlich wollten verstanden seyn, das Vollkommene liegt in der Mitte, oder: Wo Du etwas Schoͤnes Gutes oder Wahres entdeckst, da ist nothwendig jede Abweichung hinuͤber und heruͤber, das Gegentheil davon. Nun wird alles, was schoͤn und erfreulich ist, durch das Aehnliche hervorgebracht, wo wir auf eine Aehnlichkeit stoßen, da oͤfnet sich unser Herz und unser ganzes Wesen durchbebt ein angenehmes Gefuͤhl. Selbst die Erinnerung an uͤberstandene Leiden, an Schmerz ist suͤß, weil sie uns eine, jenen Leiden aͤhnliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/116
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/116>, abgerufen am 22.11.2024.