Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.Von Jhr wird indessen doch mehr gesprochen als ich glaubte. Jch weiß nun nicht, ob man mirs gerade will anzuhören geben, aber die medisance weiß allerlei Geschichtgen von ihr. Schon als sie noch Kind war, spielte sie Romanzen, hielt Rendezvous mit kleinen Buben, und hatte mit einigen von ihnen und ihren Gespielinnen einen Orden gestiftet, den aber nachher die Eltern zerstörten. Daß sie mit dem Helmuth versprochen ist, weiß jedermann, und auch daß sie jetzt noch andere Liebschaften unterhält. Der Siebold wird vorzüglich genannt, von mir scheint man nichts zu muthmaßen, aber den Siebold hat man sogar einmal Nachts wollen zum Fenster einsteigen sehen. -- Helmuth soll ein angenehmer junger reicher Mann seyn, der eine glänzende Laufbahn vor sich hat, und zum Sterben in sie verliebt ist: Die andern Mädchen in der Stadt sind ihr feind, und überhaupt haben die tugendsamen steifen Matronen in ihrem heiligen Eifer das Verdammungsurtel über sie gesprochen, so daß sie von der Seite ziemlich isolirt lebt. All das facht nun meine Begierden immer mehr an. Jch wollte sie würde von allen verlassen, angefeindet, verfolgt, bei Gott! in meinen Armen sollt' ihr kein Leids geschehen. Gestern gegen Abend war ich im Rathskeller, und saß in einer Ecke allein, und dampfte Taback in die Luft hin, da trat ihr Bruder herein und Von Jhr wird indessen doch mehr gesprochen als ich glaubte. Jch weiß nun nicht, ob man mirs gerade will anzuhoͤren geben, aber die medisance weiß allerlei Geschichtgen von ihr. Schon als sie noch Kind war, spielte sie Romanzen, hielt Rendezvous mit kleinen Buben, und hatte mit einigen von ihnen und ihren Gespielinnen einen Orden gestiftet, den aber nachher die Eltern zerstoͤrten. Daß sie mit dem Helmuth versprochen ist, weiß jedermann, und auch daß sie jetzt noch andere Liebschaften unterhaͤlt. Der Siebold wird vorzuͤglich genannt, von mir scheint man nichts zu muthmaßen, aber den Siebold hat man sogar einmal Nachts wollen zum Fenster einsteigen sehen. — Helmuth soll ein angenehmer junger reicher Mann seyn, der eine glaͤnzende Laufbahn vor sich hat, und zum Sterben in sie verliebt ist: Die andern Maͤdchen in der Stadt sind ihr feind, und uͤberhaupt haben die tugendsamen steifen Matronen in ihrem heiligen Eifer das Verdammungsurtel uͤber sie gesprochen, so daß sie von der Seite ziemlich isolirt lebt. All das facht nun meine Begierden immer mehr an. Jch wollte sie wuͤrde von allen verlassen, angefeindet, verfolgt, bei Gott! in meinen Armen sollt' ihr kein Leids geschehen. Gestern gegen Abend war ich im Rathskeller, und saß in einer Ecke allein, und dampfte Taback in die Luft hin, da trat ihr Bruder herein und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0109" n="109"/><lb/> <p>Von Jhr wird indessen doch mehr gesprochen als ich glaubte. Jch weiß nun nicht, ob man mirs gerade will anzuhoͤren geben, aber die <hi rendition="#b">medisance</hi> weiß allerlei Geschichtgen von ihr. Schon als sie noch Kind war, spielte sie Romanzen, hielt Rendezvous mit kleinen Buben, und hatte mit einigen von ihnen und ihren Gespielinnen einen Orden gestiftet, den aber nachher die Eltern zerstoͤrten. Daß sie mit dem Helmuth versprochen ist, weiß jedermann, und auch daß sie jetzt noch andere Liebschaften unterhaͤlt. Der Siebold wird vorzuͤglich genannt, von mir scheint man nichts zu muthmaßen, aber den Siebold hat man sogar einmal Nachts wollen zum Fenster einsteigen sehen. —</p> <p>Helmuth soll ein angenehmer junger reicher Mann seyn, der eine glaͤnzende Laufbahn vor sich hat, und zum Sterben in sie verliebt ist: Die andern Maͤdchen in der Stadt sind ihr feind, und uͤberhaupt haben die tugendsamen steifen Matronen in ihrem heiligen Eifer das Verdammungsurtel uͤber sie gesprochen, so daß sie von der Seite ziemlich isolirt lebt.</p> <p>All das facht nun meine Begierden immer mehr an. Jch wollte sie wuͤrde von allen verlassen, angefeindet, verfolgt, bei Gott! in meinen Armen sollt' ihr kein Leids geschehen.</p> <p>Gestern gegen Abend war ich im Rathskeller, und saß in einer Ecke allein, und dampfte Taback in die Luft hin, da trat ihr Bruder herein und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0109]
Von Jhr wird indessen doch mehr gesprochen als ich glaubte. Jch weiß nun nicht, ob man mirs gerade will anzuhoͤren geben, aber die medisance weiß allerlei Geschichtgen von ihr. Schon als sie noch Kind war, spielte sie Romanzen, hielt Rendezvous mit kleinen Buben, und hatte mit einigen von ihnen und ihren Gespielinnen einen Orden gestiftet, den aber nachher die Eltern zerstoͤrten. Daß sie mit dem Helmuth versprochen ist, weiß jedermann, und auch daß sie jetzt noch andere Liebschaften unterhaͤlt. Der Siebold wird vorzuͤglich genannt, von mir scheint man nichts zu muthmaßen, aber den Siebold hat man sogar einmal Nachts wollen zum Fenster einsteigen sehen. —
Helmuth soll ein angenehmer junger reicher Mann seyn, der eine glaͤnzende Laufbahn vor sich hat, und zum Sterben in sie verliebt ist: Die andern Maͤdchen in der Stadt sind ihr feind, und uͤberhaupt haben die tugendsamen steifen Matronen in ihrem heiligen Eifer das Verdammungsurtel uͤber sie gesprochen, so daß sie von der Seite ziemlich isolirt lebt.
All das facht nun meine Begierden immer mehr an. Jch wollte sie wuͤrde von allen verlassen, angefeindet, verfolgt, bei Gott! in meinen Armen sollt' ihr kein Leids geschehen.
Gestern gegen Abend war ich im Rathskeller, und saß in einer Ecke allein, und dampfte Taback in die Luft hin, da trat ihr Bruder herein und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/109>, abgerufen am 16.02.2025. |