Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.Jhr seyd wunderliche Geschöpfe, ihr Männer, daß es euch so um unsere Freiheit zu thun ist. Sey kein Thor! Wenn es dich beruhigen kann, so wisse, daß -- ich dich vielleicht noch mehr liebe als ihn, daß ich vielleicht nie heyrathen würde, wenn -- Erlaß mir doch eine Beichte, und komm her und küß mich! Sie strich mir die Haare von der Stirn, und lächelte mir ins Gesicht. -- Jch küßte Sie, aber ich zitterte, wie einer, den das Fieber schüttelt. Leb wohl, sagt' ich, Deine Lebensweisheit hat ihre schwere Sätze, laß mir Zeit dich erst zu begreifen. Leb wohl! -- Komm bald wieder, sagte sie, und sey froh und heiter, und laß die Grillen fahren, und du bist mein lieber Adolf. Ach, wie sie doch so gar nichts ahndet, was in mir vorgeht! Es wär ja sonst nicht möglich, daß sie so seyn könnte. Ja! und wenn ich sie anbetete, sie wie eine Gottheit um Erbarmen anflehte, und sie wär' auch des Erbarmens fähig, -- was half mir all das? treu könnte sie doch nicht seyn. Treue ist eine Eigenschaft des Herzens, des Karakters, wie kann ich von ihr verlangen, was sie nun einmal nicht hat? Und dann, würd' ich Ausdruck für meinen Schmerz haben? Würd' ich sie überzeugen, daß ich ohne sie nicht leben könne? -- Ach! ich fühls, meine Bestimmung ist -- Opfer. Jch bin eng umschränkt, nur noch Jhr seyd wunderliche Geschoͤpfe, ihr Maͤnner, daß es euch so um unsere Freiheit zu thun ist. Sey kein Thor! Wenn es dich beruhigen kann, so wisse, daß — ich dich vielleicht noch mehr liebe als ihn, daß ich vielleicht nie heyrathen wuͤrde, wenn — Erlaß mir doch eine Beichte, und komm her und kuͤß mich! Sie strich mir die Haare von der Stirn, und laͤchelte mir ins Gesicht. — Jch kuͤßte Sie, aber ich zitterte, wie einer, den das Fieber schuͤttelt. Leb wohl, sagt' ich, Deine Lebensweisheit hat ihre schwere Saͤtze, laß mir Zeit dich erst zu begreifen. Leb wohl! — Komm bald wieder, sagte sie, und sey froh und heiter, und laß die Grillen fahren, und du bist mein lieber Adolf. Ach, wie sie doch so gar nichts ahndet, was in mir vorgeht! Es waͤr ja sonst nicht moͤglich, daß sie so seyn koͤnnte. Ja! und wenn ich sie anbetete, sie wie eine Gottheit um Erbarmen anflehte, und sie waͤr' auch des Erbarmens faͤhig, — was half mir all das? treu koͤnnte sie doch nicht seyn. Treue ist eine Eigenschaft des Herzens, des Karakters, wie kann ich von ihr verlangen, was sie nun einmal nicht hat? Und dann, wuͤrd' ich Ausdruck fuͤr meinen Schmerz haben? Wuͤrd' ich sie uͤberzeugen, daß ich ohne sie nicht leben koͤnne? — Ach! ich fuͤhls, meine Bestimmung ist — Opfer. Jch bin eng umschraͤnkt, nur noch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0102" n="102"/><lb/> <p>Jhr seyd wunderliche Geschoͤpfe, ihr Maͤnner, daß es euch so um unsere Freiheit zu thun ist. Sey kein Thor! Wenn es dich beruhigen kann, so wisse, daß — ich dich vielleicht noch mehr liebe als ihn, daß ich vielleicht nie heyrathen wuͤrde, wenn — <choice><corr>Erlaß</corr><sic> Er laß</sic></choice> mir doch eine Beichte, und komm her und kuͤß mich!</p> <p>Sie strich mir die Haare von der Stirn, und laͤchelte mir ins Gesicht. — Jch kuͤßte Sie, aber ich zitterte, wie einer, den das Fieber schuͤttelt. Leb wohl, sagt' ich, Deine Lebensweisheit hat ihre schwere Saͤtze, laß mir Zeit dich erst zu begreifen. Leb wohl! —</p> <p>Komm bald wieder, sagte sie, und sey froh und heiter, und laß die Grillen fahren, und du bist mein lieber Adolf.</p> <p>Ach, wie sie doch so gar nichts ahndet, was in mir vorgeht! Es waͤr ja sonst nicht moͤglich, daß sie so seyn koͤnnte. Ja! und wenn ich sie anbetete, sie wie eine Gottheit um Erbarmen anflehte, und sie waͤr' auch des Erbarmens faͤhig, — was half mir all das? treu koͤnnte sie doch nicht seyn. Treue ist eine Eigenschaft des Herzens, des Karakters, wie kann ich von ihr verlangen, was sie nun einmal nicht hat? Und dann, wuͤrd' ich Ausdruck fuͤr meinen Schmerz haben? Wuͤrd' ich sie uͤberzeugen, daß ich ohne sie nicht leben koͤnne? — Ach! ich fuͤhls, meine Bestimmung ist — Opfer. Jch bin eng umschraͤnkt, nur noch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0102]
Jhr seyd wunderliche Geschoͤpfe, ihr Maͤnner, daß es euch so um unsere Freiheit zu thun ist. Sey kein Thor! Wenn es dich beruhigen kann, so wisse, daß — ich dich vielleicht noch mehr liebe als ihn, daß ich vielleicht nie heyrathen wuͤrde, wenn — Erlaß mir doch eine Beichte, und komm her und kuͤß mich!
Sie strich mir die Haare von der Stirn, und laͤchelte mir ins Gesicht. — Jch kuͤßte Sie, aber ich zitterte, wie einer, den das Fieber schuͤttelt. Leb wohl, sagt' ich, Deine Lebensweisheit hat ihre schwere Saͤtze, laß mir Zeit dich erst zu begreifen. Leb wohl! —
Komm bald wieder, sagte sie, und sey froh und heiter, und laß die Grillen fahren, und du bist mein lieber Adolf.
Ach, wie sie doch so gar nichts ahndet, was in mir vorgeht! Es waͤr ja sonst nicht moͤglich, daß sie so seyn koͤnnte. Ja! und wenn ich sie anbetete, sie wie eine Gottheit um Erbarmen anflehte, und sie waͤr' auch des Erbarmens faͤhig, — was half mir all das? treu koͤnnte sie doch nicht seyn. Treue ist eine Eigenschaft des Herzens, des Karakters, wie kann ich von ihr verlangen, was sie nun einmal nicht hat? Und dann, wuͤrd' ich Ausdruck fuͤr meinen Schmerz haben? Wuͤrd' ich sie uͤberzeugen, daß ich ohne sie nicht leben koͤnne? — Ach! ich fuͤhls, meine Bestimmung ist — Opfer. Jch bin eng umschraͤnkt, nur noch
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/102>, abgerufen am 16.02.2025. |