Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


Hm! Man erzählt von einem Kaiser, der ein majestätisches Vergnügen daran fand, arme Leute auszuhungern, die er dann mit einemmale an eine, mit köstlichen Gerichten besetzte Tafel führen ließ. Reizende Gerüche von allerley Speisen dufteten in ihre Nasen, ihre Eßlust stieg aufs höchste, sie fielen heißhungrig über die Speisen her, und fanden sie -- künstlich von Gyps gebildet. Der kaiserliche Teufel lachte, und fand den Spas allerliebst, und die Bettler fielen ohnmächtig zu Boden, und das Lustspiel war aus. -- O ihr Leute! hattet ihr denn nicht mehr Tugend, als das Leben aus lauter Appetit zu verlieren? Arme Schufte! Es war ja nur zum Spas.

Wer nur mitlachen könnte! Jch denke mir so eine Laune als möglich. Wenn ich noch einen wüßte mit dem das Schicksal auch so, wie die Katze mit der Maus gespielt hätte, ich wollte mich und ihn todt lachen!

O Jhr mach' ich ja keine Vorwürfe: was weiß sie davon, was in mir vorgeht? sie lebt ihren Grundsätzen treu, -- Grundsätze die ich ja schon so lange bei einem weiblichen Wesen gesucht habe, und jetzt -- machen sie mich sinnlos. --

Jch stand wie einer, neben dem der Blitz eingeschlagen hat -- lange war ich keiner Silbe fähig -- endlich kam das Bange: Du hast einen Verlobten, und mich liebtest Du nicht? zitternd hervor. -- O ja, sagte sie, ich liebe dich, und


Hm! Man erzaͤhlt von einem Kaiser, der ein majestaͤtisches Vergnuͤgen daran fand, arme Leute auszuhungern, die er dann mit einemmale an eine, mit koͤstlichen Gerichten besetzte Tafel fuͤhren ließ. Reizende Geruͤche von allerley Speisen dufteten in ihre Nasen, ihre Eßlust stieg aufs hoͤchste, sie fielen heißhungrig uͤber die Speisen her, und fanden sie — kuͤnstlich von Gyps gebildet. Der kaiserliche Teufel lachte, und fand den Spas allerliebst, und die Bettler fielen ohnmaͤchtig zu Boden, und das Lustspiel war aus. — O ihr Leute! hattet ihr denn nicht mehr Tugend, als das Leben aus lauter Appetit zu verlieren? Arme Schufte! Es war ja nur zum Spas.

Wer nur mitlachen koͤnnte! Jch denke mir so eine Laune als moͤglich. Wenn ich noch einen wuͤßte mit dem das Schicksal auch so, wie die Katze mit der Maus gespielt haͤtte, ich wollte mich und ihn todt lachen!

O Jhr mach' ich ja keine Vorwuͤrfe: was weiß sie davon, was in mir vorgeht? sie lebt ihren Grundsaͤtzen treu, — Grundsaͤtze die ich ja schon so lange bei einem weiblichen Wesen gesucht habe, und jetzt — machen sie mich sinnlos. —

Jch stand wie einer, neben dem der Blitz eingeschlagen hat — lange war ich keiner Silbe faͤhig — endlich kam das Bange: Du hast einen Verlobten, und mich liebtest Du nicht? zitternd hervor. — O ja, sagte sie, ich liebe dich, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0100" n="100"/><lb/>
Hm! Man erza&#x0364;hlt von einem Kaiser, der                         ein majesta&#x0364;tisches Vergnu&#x0364;gen daran fand, arme Leute auszuhungern, die er                         dann mit einemmale an eine, mit ko&#x0364;stlichen Gerichten besetzte Tafel fu&#x0364;hren                         ließ. Reizende Geru&#x0364;che von allerley Speisen dufteten in ihre Nasen, ihre                         Eßlust stieg aufs ho&#x0364;chste, sie fielen heißhungrig u&#x0364;ber die Speisen her, und                         fanden sie &#x2014; ku&#x0364;nstlich von Gyps gebildet. Der kaiserliche Teufel lachte, und                         fand den Spas allerliebst, und die Bettler fielen ohnma&#x0364;chtig zu Boden, und                         das Lustspiel war aus. &#x2014; O ihr Leute! hattet ihr denn nicht mehr Tugend, als                         das Leben aus lauter Appetit zu verlieren? Arme Schufte! Es war ja nur zum                         Spas.</p>
              <p>Wer nur mitlachen ko&#x0364;nnte! Jch denke mir so eine Laune als mo&#x0364;glich. Wenn ich                         noch einen wu&#x0364;ßte mit dem das Schicksal auch so, wie die Katze mit der Maus                         gespielt ha&#x0364;tte, ich wollte mich und ihn todt lachen!</p>
              <p>O <hi rendition="#b">Jhr</hi> mach' ich ja keine Vorwu&#x0364;rfe: was weiß sie                         davon, was in mir vorgeht? sie lebt ihren Grundsa&#x0364;tzen treu, &#x2014; Grundsa&#x0364;tze die                         ich ja schon so lange bei einem weiblichen Wesen gesucht habe, und jetzt &#x2014;                         machen sie mich sinnlos. &#x2014;</p>
              <p>Jch stand wie einer, neben dem der Blitz eingeschlagen hat &#x2014; lange war ich                         keiner Silbe fa&#x0364;hig &#x2014; endlich kam das Bange: Du hast einen Verlobten, und                         mich liebtest Du nicht? zitternd hervor. &#x2014; O ja, sagte sie, ich liebe dich,                         und<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0100] Hm! Man erzaͤhlt von einem Kaiser, der ein majestaͤtisches Vergnuͤgen daran fand, arme Leute auszuhungern, die er dann mit einemmale an eine, mit koͤstlichen Gerichten besetzte Tafel fuͤhren ließ. Reizende Geruͤche von allerley Speisen dufteten in ihre Nasen, ihre Eßlust stieg aufs hoͤchste, sie fielen heißhungrig uͤber die Speisen her, und fanden sie — kuͤnstlich von Gyps gebildet. Der kaiserliche Teufel lachte, und fand den Spas allerliebst, und die Bettler fielen ohnmaͤchtig zu Boden, und das Lustspiel war aus. — O ihr Leute! hattet ihr denn nicht mehr Tugend, als das Leben aus lauter Appetit zu verlieren? Arme Schufte! Es war ja nur zum Spas. Wer nur mitlachen koͤnnte! Jch denke mir so eine Laune als moͤglich. Wenn ich noch einen wuͤßte mit dem das Schicksal auch so, wie die Katze mit der Maus gespielt haͤtte, ich wollte mich und ihn todt lachen! O Jhr mach' ich ja keine Vorwuͤrfe: was weiß sie davon, was in mir vorgeht? sie lebt ihren Grundsaͤtzen treu, — Grundsaͤtze die ich ja schon so lange bei einem weiblichen Wesen gesucht habe, und jetzt — machen sie mich sinnlos. — Jch stand wie einer, neben dem der Blitz eingeschlagen hat — lange war ich keiner Silbe faͤhig — endlich kam das Bange: Du hast einen Verlobten, und mich liebtest Du nicht? zitternd hervor. — O ja, sagte sie, ich liebe dich, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/100>, abgerufen am 24.11.2024.