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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

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das seinige zur Vervollkommnung der Menschheit bei, übt, was wir nennen, Tugend.

Jch. (roch Kompendien-Geschwätz, und wäre bald ärgerlich geworden.) Da steckts ihm eben: wenn er der Grundsatz der ganzen Welt wäre! Müssen wir uns die Menschen nicht immer in einer gewissen gesellschaftlichen Verbindung denken? diese beruht auf Gesetzen, wodurch man sich ihrer Dauer hat versichern wollen, man ist aber übrigens unbekümmert gewesen, wie sich der einzelne Mensch dabei stehe, ob die individuelle Natur des Menschen nicht gerade diesen Gesetzen widerspreche? Heißt das nicht von außen gegen den Feind sich verschanzen, und innen verhungern, oder sich unter einander aufreiben? So besteht denn unsere Tugend in Aufopferung unserer menschlichen Rechte, um der Dauer einer Gesellschaft willen, die uns für all das kaum Sicherheit gewährt. Daher kommts, daß wir in jedem Zeitalter fast eine andere Tugend antreffen. -- Jch spreche von der Tugend, wie sie unter dem Volke lebt, wie sie uns ihre Redner und Dichter geben, nicht von dem Gerippe, das die Schulen von je her aufstellten, das todt ist an ihm selber, und höchstens der Vollständigkeit wegen, und um des Kunstkenners willen da steht, wie das meiste in den Schulen. Die Tugend eines Homer eines Euripides heißt: Handele, und verdiene damit dem Leben seinen Reiz und sein frohes Gefühl ab; die Tugend eines Klopstocks, eines Hermes, eines


das seinige zur Vervollkommnung der Menschheit bei, uͤbt, was wir nennen, Tugend.

Jch. (roch Kompendien-Geschwaͤtz, und waͤre bald aͤrgerlich geworden.) Da steckts ihm eben: wenn er der Grundsatz der ganzen Welt waͤre! Muͤssen wir uns die Menschen nicht immer in einer gewissen gesellschaftlichen Verbindung denken? diese beruht auf Gesetzen, wodurch man sich ihrer Dauer hat versichern wollen, man ist aber uͤbrigens unbekuͤmmert gewesen, wie sich der einzelne Mensch dabei stehe, ob die individuelle Natur des Menschen nicht gerade diesen Gesetzen widerspreche? Heißt das nicht von außen gegen den Feind sich verschanzen, und innen verhungern, oder sich unter einander aufreiben? So besteht denn unsere Tugend in Aufopferung unserer menschlichen Rechte, um der Dauer einer Gesellschaft willen, die uns fuͤr all das kaum Sicherheit gewaͤhrt. Daher kommts, daß wir in jedem Zeitalter fast eine andere Tugend antreffen. — Jch spreche von der Tugend, wie sie unter dem Volke lebt, wie sie uns ihre Redner und Dichter geben, nicht von dem Gerippe, das die Schulen von je her aufstellten, das todt ist an ihm selber, und hoͤchstens der Vollstaͤndigkeit wegen, und um des Kunstkenners willen da steht, wie das meiste in den Schulen. Die Tugend eines Homer eines Euripides heißt: Handele, und verdiene damit dem Leben seinen Reiz und sein frohes Gefuͤhl ab; die Tugend eines Klopstocks, eines Hermes, eines

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[86/0088] das seinige zur Vervollkommnung der Menschheit bei, uͤbt, was wir nennen, Tugend. Jch. (roch Kompendien-Geschwaͤtz, und waͤre bald aͤrgerlich geworden.) Da steckts ihm eben: wenn er der Grundsatz der ganzen Welt waͤre! Muͤssen wir uns die Menschen nicht immer in einer gewissen gesellschaftlichen Verbindung denken? diese beruht auf Gesetzen, wodurch man sich ihrer Dauer hat versichern wollen, man ist aber uͤbrigens unbekuͤmmert gewesen, wie sich der einzelne Mensch dabei stehe, ob die individuelle Natur des Menschen nicht gerade diesen Gesetzen widerspreche? Heißt das nicht von außen gegen den Feind sich verschanzen, und innen verhungern, oder sich unter einander aufreiben? So besteht denn unsere Tugend in Aufopferung unserer menschlichen Rechte, um der Dauer einer Gesellschaft willen, die uns fuͤr all das kaum Sicherheit gewaͤhrt. Daher kommts, daß wir in jedem Zeitalter fast eine andere Tugend antreffen. — Jch spreche von der Tugend, wie sie unter dem Volke lebt, wie sie uns ihre Redner und Dichter geben, nicht von dem Gerippe, das die Schulen von je her aufstellten, das todt ist an ihm selber, und hoͤchstens der Vollstaͤndigkeit wegen, und um des Kunstkenners willen da steht, wie das meiste in den Schulen. Die Tugend eines Homer eines Euripides heißt: Handele, und verdiene damit dem Leben seinen Reiz und sein frohes Gefuͤhl ab; die Tugend eines Klopstocks, eines Hermes, eines

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/88>, abgerufen am 24.11.2024.