Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Wer gewohnt dem Glück im Schooße, Sich zu wiegen, stets zu freun; Wem der Dorn nicht sticht, die Rose Jmmer blüht im Sonnenschein; Jammert kindisch, und entfliehet, Wenn ein Wölckchen droht! Glaubt unglücklich sich, und siehet Nichts als lauter Noth. Wer nur Leiden-Nahmen nennet, Nie von Leiden selbst gedrückt, Leiden nicht durch Urtheil kennet, Fühllos Leidende erblickt; Leidet zehnfach, wenn er siehet, Daß sein Glück verdirbt, Und die Rose ihm verblühet; Fühlt nur Dorn -- und stirbt.
Wer gewohnt dem Gluͤck im Schooße, Sich zu wiegen, stets zu freun; Wem der Dorn nicht sticht, die Rose Jmmer bluͤht im Sonnenschein; Jammert kindisch, und entfliehet, Wenn ein Woͤlckchen droht! Glaubt ungluͤcklich sich, und siehet Nichts als lauter Noth. Wer nur Leiden-Nahmen nennet, Nie von Leiden selbst gedruͤckt, Leiden nicht durch Urtheil kennet, Fuͤhllos Leidende erblickt; Leidet zehnfach, wenn er siehet, Daß sein Gluͤck verdirbt, Und die Rose ihm verbluͤhet; Fuͤhlt nur Dorn — und stirbt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0067" n="65"/><lb/> zaͤhlige mal bereuet, verwuͤnscht und verabscheut, Besserung angelobt und gehalten; und wofuͤr ich nicht gebuͤßet und zeitlich buͤßen kann, dafuͤr hat dein Sohn Jesus Christus Genugthuung geleistet. Erbarm dich meiner, und laß mich jetzt sterben. So betete ich und versuchte einzuschlummern. Umsonst! Jch fror so sehr, und wurde, durch mein eigen Schicksal angewiesen und zugleich gerechtfertiget, auf den Gedanken gefuͤhrt, mir das bischen kurze elende und unnuͤtze Leben abzukuͤrzen. — Nur der schuͤttelnde Frost, und Besorgniß, selbiges nicht vollkommen toͤdtlich ausfuͤhren zu koͤnnen, hinderten mich diesmal.</p> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wer gewohnt dem Gluͤck im Schooße,</l> <l>Sich zu wiegen, stets zu freun;</l> <l>Wem der Dorn nicht sticht, die Rose</l> <l>Jmmer bluͤht im Sonnenschein;</l> <l>Jammert kindisch, und entfliehet,</l> <l>Wenn ein Woͤlckchen droht!</l> <l>Glaubt ungluͤcklich sich, und siehet</l> <l>Nichts als lauter Noth.</l> </lg> <lg n="2"> <l>Wer nur Leiden-Nahmen nennet,</l> <l>Nie von Leiden selbst gedruͤckt,</l> <l>Leiden nicht durch Urtheil kennet,</l> <l>Fuͤhllos Leidende erblickt;</l> <l>Leidet zehnfach, wenn er siehet,</l> <l>Daß sein Gluͤck verdirbt,</l> <l>Und die Rose ihm verbluͤhet;</l> <l>Fuͤhlt nur Dorn — und stirbt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0067]
zaͤhlige mal bereuet, verwuͤnscht und verabscheut, Besserung angelobt und gehalten; und wofuͤr ich nicht gebuͤßet und zeitlich buͤßen kann, dafuͤr hat dein Sohn Jesus Christus Genugthuung geleistet. Erbarm dich meiner, und laß mich jetzt sterben. So betete ich und versuchte einzuschlummern. Umsonst! Jch fror so sehr, und wurde, durch mein eigen Schicksal angewiesen und zugleich gerechtfertiget, auf den Gedanken gefuͤhrt, mir das bischen kurze elende und unnuͤtze Leben abzukuͤrzen. — Nur der schuͤttelnde Frost, und Besorgniß, selbiges nicht vollkommen toͤdtlich ausfuͤhren zu koͤnnen, hinderten mich diesmal.
Wer gewohnt dem Gluͤck im Schooße, Sich zu wiegen, stets zu freun; Wem der Dorn nicht sticht, die Rose Jmmer bluͤht im Sonnenschein; Jammert kindisch, und entfliehet, Wenn ein Woͤlckchen droht! Glaubt ungluͤcklich sich, und siehet Nichts als lauter Noth.
Wer nur Leiden-Nahmen nennet, Nie von Leiden selbst gedruͤckt, Leiden nicht durch Urtheil kennet, Fuͤhllos Leidende erblickt; Leidet zehnfach, wenn er siehet, Daß sein Gluͤck verdirbt, Und die Rose ihm verbluͤhet; Fuͤhlt nur Dorn — und stirbt.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/67>, abgerufen am 16.02.2025. |