Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Seite 34. 3) sagt ( mein würdiger FreundVIII) "die thätigen Kräfte müssen mit den vorstellenden Kräften in einem gewissen Verhältniß stehn; sind sie gegen dieselben zu stark, und bekommen das Uebergewicht, so ist dieses Krankheit der Seele, und eben der Zustand, wo man oft klagt: meliora video proboque, deteriora sequor." Was mich anbetrift, so glaube ich, daß dieser Zustand nicht eine Folge des Uebergewichts der thätigen in Vergleich mit den vorstellen-
Seite 34. 3) sagt ( mein wuͤrdiger FreundVIII) »die thaͤtigen Kraͤfte muͤssen mit den vorstellenden Kraͤften in einem gewissen Verhaͤltniß stehn; sind sie gegen dieselben zu stark, und bekommen das Uebergewicht, so ist dieses Krankheit der Seele, und eben der Zustand, wo man oft klagt: meliora video proboque, deteriora sequor.« Was mich anbetrift, so glaube ich, daß dieser Zustand nicht eine Folge des Uebergewichts der thaͤtigen in Vergleich mit den vorstellen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0006" n="4"/><lb/> zum Opfer seiner Verzweiflung, damit <hi rendition="#b">die auf die Handlung erfolgte Reue die Reue in Ansehung des Entschlusses selbst</hi> verhindern, und er selbst darinn befestigt werden sollte. Wilhelm Meier kann also immerhin geglaubt haben, daß er bloß aus Ungeduld uͤber das Ausbleiben der Krankenwaͤrterin lieber die Ermordung seines unschuldigen Kameraden, so wie Seybel glauben konnte, daß er bloß aus Mangel an Gelegenheit (einen andern zu ermorden) die Ermordung des von ihm geliebten Kindes beschlossen hatte, und doch war das ihnen selbst unbekannte Motiv, wie schon gezeigt worden, ein Trieb den bei kalter Ueberlegung gefaßten Entschluß, durch Hinzukunft der Reue zu befestigen, und gegen alles, was dessen Ausfuͤhrung nicht verhindern, sondern bloß seine Vorstellung unangenehm machen konnte, zu sichern. Welches, wie ich dafuͤr halte, so wohl den psychologischen Prinzipien, als der Erfahrung gemaͤß ist.</p> <p>Seite 34. 3) sagt <persName ref="#ref0001"><note type="editorial">Moritz, Karl Philipp</note>mein wuͤrdiger Freund</persName> (<hi rendition="#aq">VIII</hi>) »die thaͤtigen Kraͤfte muͤssen mit den vorstellenden Kraͤften in einem gewissen Verhaͤltniß stehn; sind sie gegen dieselben zu stark, und bekommen das Uebergewicht, so ist dieses Krankheit der Seele, und eben der Zustand, wo man oft klagt: <hi rendition="#aq">meliora video proboque, deteriora sequor.</hi>« Was mich anbetrift, so glaube ich, daß dieser Zustand nicht eine Folge des <hi rendition="#b">Uebergewichts der thaͤtigen in Vergleich mit den vorstellen-<lb/></hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0006]
zum Opfer seiner Verzweiflung, damit die auf die Handlung erfolgte Reue die Reue in Ansehung des Entschlusses selbst verhindern, und er selbst darinn befestigt werden sollte. Wilhelm Meier kann also immerhin geglaubt haben, daß er bloß aus Ungeduld uͤber das Ausbleiben der Krankenwaͤrterin lieber die Ermordung seines unschuldigen Kameraden, so wie Seybel glauben konnte, daß er bloß aus Mangel an Gelegenheit (einen andern zu ermorden) die Ermordung des von ihm geliebten Kindes beschlossen hatte, und doch war das ihnen selbst unbekannte Motiv, wie schon gezeigt worden, ein Trieb den bei kalter Ueberlegung gefaßten Entschluß, durch Hinzukunft der Reue zu befestigen, und gegen alles, was dessen Ausfuͤhrung nicht verhindern, sondern bloß seine Vorstellung unangenehm machen konnte, zu sichern. Welches, wie ich dafuͤr halte, so wohl den psychologischen Prinzipien, als der Erfahrung gemaͤß ist.
Seite 34. 3) sagt mein wuͤrdiger Freund (VIII) »die thaͤtigen Kraͤfte muͤssen mit den vorstellenden Kraͤften in einem gewissen Verhaͤltniß stehn; sind sie gegen dieselben zu stark, und bekommen das Uebergewicht, so ist dieses Krankheit der Seele, und eben der Zustand, wo man oft klagt: meliora video proboque, deteriora sequor.« Was mich anbetrift, so glaube ich, daß dieser Zustand nicht eine Folge des Uebergewichts der thaͤtigen in Vergleich mit den vorstellen-
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