Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Und daß ich es im Vorbeygehn bemerke: mir scheint Jn dem 8ten Bande 3ten Stück S. 2. habe ich zwei Arten von Vorstellungen unterschieden 1) eine *) Jch weiß nicht was der V. vom Erklären einer Erscheinung für einen Begriff haben mag. Eine Erscheinung erklären, heist dieselbe einem bekannten Gesetze subsumiren. Dieses Gesetz mag a priori oder a posteriori seyn. So wird das Aufsteigen des Wassers in den Haarröhrchen; die Bildung der Tropfen; Ebbe und Fluth und dergl. nach dem durch Jndukzion allgemein gemachten Erfahrungsgesetz der Attrakzion erklärt. Ja die ganze Naturlehre enthält lauter Erklärungen nach Gesetzen a posteriori, indem die Gesetze a priori allgemeine Bedingungen aller Erscheinungen überhaupt, aber keine Erklärungsgründe besonderer Erscheinungen abgeben können. Der Vorwurf des V. ist also ungegründet.
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Und daß ich es im Vorbeygehn bemerke: mir scheint Jn dem 8ten Bande 3ten Stuͤck S. 2. habe ich zwei Arten von Vorstellungen unterschieden 1) eine *) Jch weiß nicht was der V. vom Erklaͤren einer Erscheinung fuͤr einen Begriff haben mag. Eine Erscheinung erklaͤren, heist dieselbe einem bekannten Gesetze subsumiren. Dieses Gesetz mag a priori oder a posteriori seyn. So wird das Aufsteigen des Wassers in den Haarroͤhrchen; die Bildung der Tropfen; Ebbe und Fluth und dergl. nach dem durch Jndukzion allgemein gemachten Erfahrungsgesetz der Attrakzion erklaͤrt. Ja die ganze Naturlehre enthaͤlt lauter Erklaͤrungen nach Gesetzen a posteriori, indem die Gesetze a priori allgemeine Bedingungen aller Erscheinungen uͤberhaupt, aber keine Erklaͤrungsgruͤnde besonderer Erscheinungen abgeben koͤnnen. Der Vorwurf des V. ist also ungegruͤndet.
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auch keine Erklaͤrung erkuͤnstlen, sie mit Hypothesen beladen, und hineinweben was wider die Wahrscheinlichkeit ist. Eine Erklaͤrung welche nur ein einziges Prinzipium zur Grundlage hat, ist wahrscheinlicher als eine andere darinn mehrere angenommen werden; allein die Erklaͤrung muß nicht wiederum in einer andern Ruͤcksicht wider die Wahrscheinlichkeit suͤndigen.
Und daß ich es im Vorbeygehn bemerke: mir scheint H. M. zu der Jdeenassociation zu viel Vorliebe zu haben. Wie wuͤrde er sonst die Entstehung der Erfahrungsprinzipien aus der Association erklaͤren wollen? ist denn die Jdeenassociation kein Erfahrungsprinzip? muß nicht auch dieses Gesetz gelaͤugnet werden, wenn die Erfahrung uͤberhaupt geleugnet wird?*) Mit einem Worte: ist es moͤglich, irgend etwas, was in der Erfahrung vorkommt zu erklaͤren, wenn gar nichts vorhanden ist, das auch ohne alle Erfahrung angenommen werden muß? doch ich schreite zur Hauptsache.
Jn dem 8ten Bande 3ten Stuͤck S. 2. habe ich zwei Arten von Vorstellungen unterschieden 1) eine
*) Jch weiß nicht was der V. vom Erklaͤren einer Erscheinung fuͤr einen Begriff haben mag. Eine Erscheinung erklaͤren, heist dieselbe einem bekannten Gesetze subsumiren. Dieses Gesetz mag a priori oder a posteriori seyn. So wird das Aufsteigen des Wassers in den Haarroͤhrchen; die Bildung der Tropfen; Ebbe und Fluth und dergl. nach dem durch Jndukzion allgemein gemachten Erfahrungsgesetz der Attrakzion erklaͤrt. Ja die ganze Naturlehre enthaͤlt lauter Erklaͤrungen nach Gesetzen a posteriori, indem die Gesetze a priori allgemeine Bedingungen aller Erscheinungen uͤberhaupt, aber keine Erklaͤrungsgruͤnde besonderer Erscheinungen abgeben koͤnnen. Der Vorwurf des V. ist also ungegruͤndet.
S. M.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/105>, abgerufen am 16.02.2025. |