Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.Gesamtkultur der Menschen soll und muß es der Frau, wie dem14.449 Die Voruntersuchung, ob Frauen überhaupt studieren sollen14.452 Auch dem wenig befähigten Jüngling öffnen sich die Pforten14.474 Die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen als Hausärzte14.482 Gesamtkultur der Menschen soll und muß es der Frau, wie dem14.449 Die Voruntersuchung, ob Frauen überhaupt studieren sollen14.452 Auch dem wenig befähigten Jüngling öffnen sich die Pforten14.474 Die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen als Hausärzte14.482 <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0013" n="14"/> Gesamtkultur der Menschen soll und muß es der Frau, wie dem<lb n="14.449"/> Manne, überlassen werden, welche Arbeit sie für ihr Leben, ihrer<lb n="14.450"/> innersten Neigung nach, erwählen will.<lb n="14.451"/> </p> <p> Die Voruntersuchung, ob Frauen überhaupt studieren sollen<lb n="14.452"/> oder zum Studium dieser für die Menschheit so wichtigen <lb n="14.453"/> Wissenschaft befähigt sind, halten wir für überflüssig, da unser Jahrhundert<lb n="14.454"/> die Antwort darauf bereits gegeben hat, denn trotz aller fast <lb n="14.455"/> unübersteiglichen Hindernisse haben Frauen fast aller civilisierten Länder<lb n="14.456"/> Vorurteile. Gewohnheiten, Gegnerschaft und Landesgesetze zu besiegen<lb n="14.457"/> gewußt, um sich den für sie dornenvollen Weg der Wissenschaft zu<lb n="14.458"/> bahnen. Wo ihnen das Vaterland Hochschule und Prüfung verschloß,<lb n="14.459"/> sind sie in die Fremde gegangen mit jenem Heldenmut der Entsagung,<lb n="14.460"/> den nur die alleinstehende studierende Jungfrau kennt, — denn<lb n="14.461"/> während dem Jüngling die Studentenzeit die seligste seines Lebens<lb n="14.462"/> ist, in der er mit allem Übermut der Jugend sich neben dem<lb n="14.463"/> Studium dem Genüsse hingiebt und in seiner oft bis zur <lb n="14.464"/> Zügellosigkeit ausartenden Freiheit ganz seinen Neigungen lebt, — muß<lb n="14.465"/> die Jungfrau, die das elterliche Haus verläßt, will sie ihr ernstes<lb n="14.466"/> Ziel an der Universität erringen, ohne den mannigfachen Gefahren<lb n="14.467"/> zu erliegen, die ihr drohen, strenge Selbstzucht üben. Sie muß<lb n="14.468"/> alle ihre Neigungen, ihre Jugendlust unterdrücken, und stets darauf<lb n="14.469"/> bedacht sein, nicht nur mit allen ihr zu Gebote stehenden Fähigkeiten<lb n="14.470"/> zu lernen, in die Tiefen der Wissenschaft einzudringen, sondern <lb n="14.471"/> dabei auch ihre weibliche Würde, ihren guten Ruf zu wahren. Sie<lb n="14.472"/> weiß es, der einzige Schutz ihrer Rechte ist ihre sittliche Kraft.<lb n="14.473"/> </p> <p> Auch dem wenig befähigten Jüngling öffnen sich die Pforten<lb n="14.474"/> der Universität und die Mittelmäßigkeit vermag durch das Examen<lb n="14.475"/> zu schlüpfen um bei Fleiß und Gewissenhaftigkeit eine ehrenvolle<lb n="14.476"/> Stellung in der Gesellschaft zu erringen. Ein Mädchen aber, das<lb n="14.477"/> studieren will, muß ihre außerordentliche Begabung vorher beweisen,<lb n="14.478"/> da ihre Angehörigen es sonst nie zugeben würden, daß sie sich einem<lb n="14.479"/> wissenschaftlichen Berufe widme, noch mehr, jene müssen von der<lb n="14.480"/> Energie und dem guten Charakter des Mädchens überzeugt sein.<lb n="14.481"/> </p> <p> Die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen als Hausärzte<lb n="14.482"/> für Frauen und Kinder zu wählen, ist keine mehr, die durch <lb n="14.483"/> Diskussion ventiliert werden braucht, sie hat sich bereits beantwortet, da<lb n="14.484"/> wo das Studium ganz frei gegeben ist, indem es in Amerika fast<lb n="14.485"/> keinen Ort giebt, an dem nicht Ärztinnen praktizieren zum Heile der<lb n="14.486"/> Moral und der Gesundheit ihres Geschlechtes; die <lb n="14.487"/> Concurrenz, welche sie den Männern machen, muß doch nicht so fühlbar<lb n="14.488"/> sein, da Ärzte weder in verringerter Anzahl praktizieren, noch die<lb n="14.489"/> Universitäten weniger von medizinischen Studenten besucht werden.<lb n="14.490"/> </p> </body> </text> </TEI> [14/0013]
Gesamtkultur der Menschen soll und muß es der Frau, wie dem 14.449
Manne, überlassen werden, welche Arbeit sie für ihr Leben, ihrer 14.450
innersten Neigung nach, erwählen will. 14.451
Die Voruntersuchung, ob Frauen überhaupt studieren sollen 14.452
oder zum Studium dieser für die Menschheit so wichtigen 14.453
Wissenschaft befähigt sind, halten wir für überflüssig, da unser Jahrhundert 14.454
die Antwort darauf bereits gegeben hat, denn trotz aller fast 14.455
unübersteiglichen Hindernisse haben Frauen fast aller civilisierten Länder 14.456
Vorurteile. Gewohnheiten, Gegnerschaft und Landesgesetze zu besiegen 14.457
gewußt, um sich den für sie dornenvollen Weg der Wissenschaft zu 14.458
bahnen. Wo ihnen das Vaterland Hochschule und Prüfung verschloß, 14.459
sind sie in die Fremde gegangen mit jenem Heldenmut der Entsagung, 14.460
den nur die alleinstehende studierende Jungfrau kennt, — denn 14.461
während dem Jüngling die Studentenzeit die seligste seines Lebens 14.462
ist, in der er mit allem Übermut der Jugend sich neben dem 14.463
Studium dem Genüsse hingiebt und in seiner oft bis zur 14.464
Zügellosigkeit ausartenden Freiheit ganz seinen Neigungen lebt, — muß 14.465
die Jungfrau, die das elterliche Haus verläßt, will sie ihr ernstes 14.466
Ziel an der Universität erringen, ohne den mannigfachen Gefahren 14.467
zu erliegen, die ihr drohen, strenge Selbstzucht üben. Sie muß 14.468
alle ihre Neigungen, ihre Jugendlust unterdrücken, und stets darauf 14.469
bedacht sein, nicht nur mit allen ihr zu Gebote stehenden Fähigkeiten 14.470
zu lernen, in die Tiefen der Wissenschaft einzudringen, sondern 14.471
dabei auch ihre weibliche Würde, ihren guten Ruf zu wahren. Sie 14.472
weiß es, der einzige Schutz ihrer Rechte ist ihre sittliche Kraft. 14.473
Auch dem wenig befähigten Jüngling öffnen sich die Pforten 14.474
der Universität und die Mittelmäßigkeit vermag durch das Examen 14.475
zu schlüpfen um bei Fleiß und Gewissenhaftigkeit eine ehrenvolle 14.476
Stellung in der Gesellschaft zu erringen. Ein Mädchen aber, das 14.477
studieren will, muß ihre außerordentliche Begabung vorher beweisen, 14.478
da ihre Angehörigen es sonst nie zugeben würden, daß sie sich einem 14.479
wissenschaftlichen Berufe widme, noch mehr, jene müssen von der 14.480
Energie und dem guten Charakter des Mädchens überzeugt sein. 14.481
Die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen als Hausärzte 14.482
für Frauen und Kinder zu wählen, ist keine mehr, die durch 14.483
Diskussion ventiliert werden braucht, sie hat sich bereits beantwortet, da 14.484
wo das Studium ganz frei gegeben ist, indem es in Amerika fast 14.485
keinen Ort giebt, an dem nicht Ärztinnen praktizieren zum Heile der 14.486
Moral und der Gesundheit ihres Geschlechtes; die 14.487
Concurrenz, welche sie den Männern machen, muß doch nicht so fühlbar 14.488
sein, da Ärzte weder in verringerter Anzahl praktizieren, noch die 14.489
Universitäten weniger von medizinischen Studenten besucht werden. 14.490
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