Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.untergeordneten gesellschaftlichen Stellung, zu welcher sich nur Personen11.324 Die Musik betreffend, sagen Sie: Dies zu widerlegen fällt mir das Liedchen: "Nach Sevilla,11.346 Die Schranke, welche die Gesellschaft schuf, bestand in dem11.362 untergeordneten gesellschaftlichen Stellung, zu welcher sich nur Personen11.324 Die Musik betreffend, sagen Sie: Dies zu widerlegen fällt mir das Liedchen: „Nach Sevilla,11.346 Die Schranke, welche die Gesellschaft schuf, bestand in dem11.362 <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0010" n="11"/> untergeordneten gesellschaftlichen Stellung, zu welcher sich nur Personen<lb n="11.324"/> aus niedern Volksklassen meldeten. Dieses Verhältnis ist erst in<lb n="11.325"/> der allerneusten Zeit ein anderes geworden, wo Ärzte die Notwendigkeit<lb n="11.326"/> erkannten, einem so wichtigen Stande wie dem der <lb n="11.327"/> Hebeammen eine gründlichere wissenschaftliche Ausbildung zu geben.<lb n="11.328"/> Unsere Ärzte als Spezialisten für Geburtshülfe und <lb n="11.329"/> Frauenkrankheiten konnten wohl ganz anderes leisten und bahnbrechende <lb n="11.330"/> Erfindungen auf diesem Gebiete machen, da sie nicht allein in <lb n="11.331"/> Gymnasien und Universitäten eine umfassende Bildung erhielten, sondern<lb n="11.332"/> jahrelang, ehe sie zur selbstständigen Praxis kommen, als Assistenten<lb n="11.333"/> berühmter Fachärzte fungieren und in Kliniken und Polikliniken das<lb n="11.334"/> ausgiebigste Menschenmaterial zum Experimentieren erhalten. Gerade<lb n="11.335"/> das Prinzip der Arbeitsteilung spricht dafür, die Frauen zu der ihnen<lb n="11.336"/> durch die Natur zugewiesenen Wissenschaft und Kunst, der <lb n="11.337"/> Geburtshülfe und Behandlung der Kinder zuzulassen und ihnen dazu die<lb n="11.338"/> angemessene Vorbildung zugeben. Auf Ihre Seitenhiebe, sehr<lb n="11.339"/> geehrter Herr Professor, daß die Frauen auch auf keinem Gebiete<lb n="11.340"/> etwas Erhebliches geleistet haben, brauche ich nach meinen früheren<lb n="11.341"/> Auseinandersetzungen nicht weiter eingehen.</p> <lb n="11.342"/> <p> Die Musik betreffend, sagen Sie: <q who="Waldeyer">Obgleich sie den Frauen<lb n="11.343"/> stets offen gewesen sei, existiere auch nicht ein einziges Liedchen von<lb n="11.344"/> dauerndem Werte, das eine Frau componiert habe!</q><lb n="11.345"/> </p> <p> Dies zu widerlegen fällt mir das Liedchen: „Nach Sevilla,<lb n="11.346"/> nach Sevilla" ein. welches Louise Reichard am Anfang unseres<lb n="11.347"/> Jahrhunderts componiert hat und das sich volkstümlich, obgleich<lb n="11.348"/> später auch noch mehrfach in Musik gesetzt, doch nur in ihrer<lb n="11.349"/> Melodie erhalten hat. Sie war die Tochter des damaligen <lb n="11.350"/> Musikdirektors Reichard in Halle a. d. S. Die Gartenlaube Nr. 29,<lb n="11.351"/> Jahrgang 1865 enthält eine Episode aus dem Leben dieses <lb n="11.352"/> reichbegabten Mädchens, in welcher die Entstehung dieser Composition <lb n="11.353"/> geschildert ist. Clemens Brentano hatte die Dichtung eingeschickt und Louise<lb n="11.354"/> hatte sie in Musik gesetzt und trug sie mit Harfenbegleitung, als<lb n="11.355"/> neuestes Produkt ihrer Kunst, dem heimkehrenden Vater vor. Die<lb n="11.356"/> Wirkung war so packend, daß der Vater aufsprang und ihre Hand<lb n="11.357"/> ergreifend sagte: <q who="Bretano">Brav Mädel, das hast Du gut gemacht. Die<lb n="11.358"/> Melodie wird uns Alle überdauern!</q> Auch trifft es nicht zu, daß,<lb n="11.359"/> wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen, die Musik <lb n="11.360"/> uneingeschränkt den Frauen offen stand.<lb n="11.361"/> </p> <p> Die Schranke, welche die Gesellschaft schuf, bestand in dem<lb n="11.362"/> „Ungebräuchlichen", „Lächerlichmachen", „Unweiblich" sein, wenn<lb n="11.363"/> ein anderes Instrument von Frauen, als das Klavier, gewählt<lb n="11.364"/> wurde. Solche Schranke hat erst in der letzten Hälfte unseres<lb n="11.365"/> </p> </body> </text> </TEI> [11/0010]
untergeordneten gesellschaftlichen Stellung, zu welcher sich nur Personen 11.324
aus niedern Volksklassen meldeten. Dieses Verhältnis ist erst in 11.325
der allerneusten Zeit ein anderes geworden, wo Ärzte die Notwendigkeit 11.326
erkannten, einem so wichtigen Stande wie dem der 11.327
Hebeammen eine gründlichere wissenschaftliche Ausbildung zu geben. 11.328
Unsere Ärzte als Spezialisten für Geburtshülfe und 11.329
Frauenkrankheiten konnten wohl ganz anderes leisten und bahnbrechende 11.330
Erfindungen auf diesem Gebiete machen, da sie nicht allein in 11.331
Gymnasien und Universitäten eine umfassende Bildung erhielten, sondern 11.332
jahrelang, ehe sie zur selbstständigen Praxis kommen, als Assistenten 11.333
berühmter Fachärzte fungieren und in Kliniken und Polikliniken das 11.334
ausgiebigste Menschenmaterial zum Experimentieren erhalten. Gerade 11.335
das Prinzip der Arbeitsteilung spricht dafür, die Frauen zu der ihnen 11.336
durch die Natur zugewiesenen Wissenschaft und Kunst, der 11.337
Geburtshülfe und Behandlung der Kinder zuzulassen und ihnen dazu die 11.338
angemessene Vorbildung zugeben. Auf Ihre Seitenhiebe, sehr 11.339
geehrter Herr Professor, daß die Frauen auch auf keinem Gebiete 11.340
etwas Erhebliches geleistet haben, brauche ich nach meinen früheren 11.341
Auseinandersetzungen nicht weiter eingehen.
11.342
Die Musik betreffend, sagen Sie: Obgleich sie den Frauen 11.343
stets offen gewesen sei, existiere auch nicht ein einziges Liedchen von 11.344
dauerndem Werte, das eine Frau componiert habe! 11.345
Dies zu widerlegen fällt mir das Liedchen: „Nach Sevilla, 11.346
nach Sevilla" ein. welches Louise Reichard am Anfang unseres 11.347
Jahrhunderts componiert hat und das sich volkstümlich, obgleich 11.348
später auch noch mehrfach in Musik gesetzt, doch nur in ihrer 11.349
Melodie erhalten hat. Sie war die Tochter des damaligen 11.350
Musikdirektors Reichard in Halle a. d. S. Die Gartenlaube Nr. 29, 11.351
Jahrgang 1865 enthält eine Episode aus dem Leben dieses 11.352
reichbegabten Mädchens, in welcher die Entstehung dieser Composition 11.353
geschildert ist. Clemens Brentano hatte die Dichtung eingeschickt und Louise 11.354
hatte sie in Musik gesetzt und trug sie mit Harfenbegleitung, als 11.355
neuestes Produkt ihrer Kunst, dem heimkehrenden Vater vor. Die 11.356
Wirkung war so packend, daß der Vater aufsprang und ihre Hand 11.357
ergreifend sagte: Brav Mädel, das hast Du gut gemacht. Die 11.358
Melodie wird uns Alle überdauern! Auch trifft es nicht zu, daß, 11.359
wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen, die Musik 11.360
uneingeschränkt den Frauen offen stand. 11.361
Die Schranke, welche die Gesellschaft schuf, bestand in dem 11.362
„Ungebräuchlichen", „Lächerlichmachen", „Unweiblich" sein, wenn 11.363
ein anderes Instrument von Frauen, als das Klavier, gewählt 11.364
wurde. Solche Schranke hat erst in der letzten Hälfte unseres 11.365
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