Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL III. kleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den derrührige Consul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im J. 680 nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, liess sich aber durch die Autorität des Consuls Lucius Lucullus bestimmen von seinem Vorhaben abzustehen. Mit grösserem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fussstapfen Gaius Licinius Macer, der -- bezeichnend für die Zeit -- in das öffentliche Leben seine litterarischen Stu- dien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bür- gerschaft anrieth die Conscription zu verweigern. -- Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatori- schen Geschwornen wurden bald nur zu wohl begründete Be- schwerden laut. Die Verurtheilung eines einigermassen einfluss- reichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloss em- pfand der College mit dem Collegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der Geschwornenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Ver- brechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Ca- tulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, dass die Be- schwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders ecla- tante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im J. 680, über Massregeln gegen die Feilheit der Geschwornen zu delibe- riren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Fol- gen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, womit verglichen selbst die bisherigen Frevel als erträglich und gemäs- sigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermassen durch Gewohnheit legitim geworden und die Erpressungscom- mission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Collegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bie- ten wollen, dafür von diesem abwesend zum Tode verurtheilt ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Se- natoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruthen und Beilen des römischen Vogts und die älteste Errun- genschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füs- sen getreten zu werden: da hatte auch das Publicum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte FÜNFTES BUCH. KAPITEL III. kleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den derrührige Consul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im J. 680 nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, lieſs sich aber durch die Autorität des Consuls Lucius Lucullus bestimmen von seinem Vorhaben abzustehen. Mit gröſserem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fuſsstapfen Gaius Licinius Macer, der — bezeichnend für die Zeit — in das öffentliche Leben seine litterarischen Stu- dien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bür- gerschaft anrieth die Conscription zu verweigern. — Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatori- schen Geschwornen wurden bald nur zu wohl begründete Be- schwerden laut. Die Verurtheilung eines einigermaſsen einfluſs- reichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloſs em- pfand der College mit dem Collegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der Geschwornenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Ver- brechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Ca- tulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daſs die Be- schwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders ecla- tante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im J. 680, über Maſsregeln gegen die Feilheit der Geschwornen zu delibe- riren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Fol- gen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, womit verglichen selbst die bisherigen Frevel als erträglich und gemäs- sigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaſsen durch Gewohnheit legitim geworden und die Erpressungscom- mission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Collegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bie- ten wollen, dafür von diesem abwesend zum Tode verurtheilt ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Se- natoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruthen und Beilen des römischen Vogts und die älteste Errun- genschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füs- sen getreten zu werden: da hatte auch das Publicum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="86"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
kleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der
rührige Consul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im J. 680 nahm
Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, lieſs sich aber durch
die Autorität des Consuls Lucius Lucullus bestimmen von seinem
Vorhaben abzustehen. Mit gröſserem Eifer trat das Jahr darauf
in seine Fuſsstapfen Gaius Licinius Macer, der — bezeichnend
für die Zeit — in das öffentliche Leben seine litterarischen Stu-
dien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bür-
gerschaft anrieth die Conscription zu verweigern. — Auch über
die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatori-
schen Geschwornen wurden bald nur zu wohl begründete Be-
schwerden laut. Die Verurtheilung eines einigermaſsen einfluſs-
reichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloſs em-
pfand der College mit dem Collegen, der gewesene oder künftige
Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid;
auch die Käuflichkeit der Geschwornenstimmen war kaum noch
eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Ver-
brechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies
man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Ca-
tulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daſs die Be-
schwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders ecla-
tante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im J. 680,
über Maſsregeln gegen die Feilheit der Geschwornen zu delibe-
riren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte
und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Fol-
gen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem
System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, womit
verglichen selbst die bisherigen Frevel als erträglich und gemäs-
sigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaſsen
durch Gewohnheit legitim geworden und die Erpressungscom-
mission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien
heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen
Collegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil
er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bie-
ten wollen, dafür von diesem abwesend zum Tode verurtheilt
ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Se-
natoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den
Ruthen und Beilen des römischen Vogts und die älteste Errun-
genschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes
und Lebens von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füs-
sen getreten zu werden: da hatte auch das Publicum auf dem
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/96>, abgerufen am 16.07.2024. |