Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. gel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymolo-gisiren auf blossen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Charade und oft geradezu ins Alberne verläuft.* Gegen die Form zeigt der Schreiber vollständige Gleichgültigkeit. In ihrer empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die varronische leb- haft an die englische Nationalphilologie und findet auch eben wie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne. Dass die monarchische Litteratur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt (S. 536). Es ist in hohem Grade bedeutsam, dass an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704) es zuerst unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. -- Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philo- logie fällt die geringe Thätigkeit in den übrigen Wissenschaften auf. Was in der Philosophie von Belang erschien, wie Lucretius Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinder- kleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schrif- ten Ciceros, fand seine Bedeutung und sein Publicum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch seine ästhetische Form. Die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros grosses Werk über die Principien der Zahlen und das noch ausführlichere des Figulus von den Göttern, lassen sich noch weniger als wis- senschaftlich bedeutende Erscheinungen bezeichnen. -- Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Bücher vom Landbau und desselben so wie des Servius Sulpicius Rufus (Consul 703) juristische Arbeiten sind so ziemlich das Einzige, was hier Erwähnung verdient; und auch von den letzteren ist kaum etwas weiter zu sagen, als dass sie zu dem dialektischen und philosophischen Aufputz der römi- schen Jurisprudenz beitrugen. Dass Mathematik und Physik * So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der
Sache ein Ansehen giebt, Gaius Trebatius, ein philologischer Jurist dieser Zeit, sacellum von sacra cella, Figulus frater von fere alter und so weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der phi- lologischen Litteratur dieser Zeit erscheint, hat die grösste Aehnlichkeit mit der Weise, wie man bei uns Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte. FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. gel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymolo-gisiren auf bloſsen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Charade und oft geradezu ins Alberne verläuft.* Gegen die Form zeigt der Schreiber vollständige Gleichgültigkeit. In ihrer empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die varronische leb- haft an die englische Nationalphilologie und findet auch eben wie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne. Daſs die monarchische Litteratur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt (S. 536). Es ist in hohem Grade bedeutsam, daſs an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704) es zuerst unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. — Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philo- logie fällt die geringe Thätigkeit in den übrigen Wissenschaften auf. Was in der Philosophie von Belang erschien, wie Lucretius Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinder- kleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schrif- ten Ciceros, fand seine Bedeutung und sein Publicum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch seine ästhetische Form. Die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros groſses Werk über die Principien der Zahlen und das noch ausführlichere des Figulus von den Göttern, lassen sich noch weniger als wis- senschaftlich bedeutende Erscheinungen bezeichnen. — Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Bücher vom Landbau und desselben so wie des Servius Sulpicius Rufus (Consul 703) juristische Arbeiten sind so ziemlich das Einzige, was hier Erwähnung verdient; und auch von den letzteren ist kaum etwas weiter zu sagen, als daſs sie zu dem dialektischen und philosophischen Aufputz der römi- schen Jurisprudenz beitrugen. Daſs Mathematik und Physik * So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der
Sache ein Ansehen giebt, Gaius Trebatius, ein philologischer Jurist dieser Zeit, sacellum von sacra cella, Figulus frater von fere alter und so weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der phi- lologischen Litteratur dieser Zeit erscheint, hat die gröſste Aehnlichkeit mit der Weise, wie man bei uns Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0588" n="578"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> gel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymolo-<lb/> gisiren auf bloſsen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei<lb/> den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine<lb/> Charade und oft geradezu ins Alberne verläuft.<note place="foot" n="*">So leitet Varro <hi rendition="#i">facere</hi> her von <hi rendition="#i">facies</hi>, weil wer etwas macht, der<lb/> Sache ein <choice><sic>Ansehn</sic><corr>Ansehen</corr></choice> giebt, Gaius Trebatius, ein philologischer Jurist dieser<lb/> Zeit, <hi rendition="#i">sacellum</hi> von <hi rendition="#i">sacra cella</hi>, Figulus <hi rendition="#i">frater</hi> von <hi rendition="#i">fere alter</hi> und so weiter.<lb/> Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der phi-<lb/> lologischen Litteratur dieser Zeit erscheint, hat die gröſste Aehnlichkeit mit<lb/> der Weise, wie man bei uns Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in<lb/> den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte.</note> Gegen die<lb/> Form zeigt der Schreiber vollständige Gleichgültigkeit. In ihrer<lb/> empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen<lb/> Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die varronische leb-<lb/> haft an die englische Nationalphilologie und findet auch eben wie<lb/> diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne.<lb/> Daſs die monarchische Litteratur im Gegensatz gegen diese<lb/> sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits<lb/> bemerkt (S. 536). Es ist in hohem Grade bedeutsam, daſs an<lb/> der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann<lb/> steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie<lb/> (bekanntgemacht zwischen 696 und 704) es zuerst unternahm<lb/> die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. —<lb/> Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philo-<lb/> logie fällt die geringe Thätigkeit in den übrigen Wissenschaften<lb/> auf. Was in der Philosophie von Belang erschien, wie Lucretius<lb/> Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinder-<lb/> kleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schrif-<lb/> ten Ciceros, fand seine Bedeutung und sein Publicum nicht durch,<lb/> sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch seine<lb/> ästhetische Form. Die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer<lb/> Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros groſses<lb/> Werk über die Principien der Zahlen und das noch ausführlichere<lb/> des Figulus von den Göttern, lassen sich noch weniger als wis-<lb/> senschaftlich bedeutende Erscheinungen bezeichnen. — Auch in<lb/> den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch<lb/> geschriebene Bücher vom Landbau und desselben so wie des<lb/> Servius Sulpicius Rufus (Consul 703) juristische Arbeiten sind<lb/> so ziemlich das Einzige, was hier Erwähnung verdient; und auch<lb/> von den letzteren ist kaum etwas weiter zu sagen, als daſs sie<lb/> zu dem dialektischen und philosophischen Aufputz der römi-<lb/> schen Jurisprudenz beitrugen. Daſs Mathematik und Physik<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [578/0588]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
gel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymolo-
gisiren auf bloſsen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei
den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine
Charade und oft geradezu ins Alberne verläuft. * Gegen die
Form zeigt der Schreiber vollständige Gleichgültigkeit. In ihrer
empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen
Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die varronische leb-
haft an die englische Nationalphilologie und findet auch eben wie
diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne.
Daſs die monarchische Litteratur im Gegensatz gegen diese
sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits
bemerkt (S. 536). Es ist in hohem Grade bedeutsam, daſs an
der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann
steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie
(bekanntgemacht zwischen 696 und 704) es zuerst unternahm
die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. —
Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philo-
logie fällt die geringe Thätigkeit in den übrigen Wissenschaften
auf. Was in der Philosophie von Belang erschien, wie Lucretius
Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinder-
kleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schrif-
ten Ciceros, fand seine Bedeutung und sein Publicum nicht durch,
sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch seine
ästhetische Form. Die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer
Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros groſses
Werk über die Principien der Zahlen und das noch ausführlichere
des Figulus von den Göttern, lassen sich noch weniger als wis-
senschaftlich bedeutende Erscheinungen bezeichnen. — Auch in
den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch
geschriebene Bücher vom Landbau und desselben so wie des
Servius Sulpicius Rufus (Consul 703) juristische Arbeiten sind
so ziemlich das Einzige, was hier Erwähnung verdient; und auch
von den letzteren ist kaum etwas weiter zu sagen, als daſs sie
zu dem dialektischen und philosophischen Aufputz der römi-
schen Jurisprudenz beitrugen. Daſs Mathematik und Physik
* So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der
Sache ein Ansehen giebt, Gaius Trebatius, ein philologischer Jurist dieser
Zeit, sacellum von sacra cella, Figulus frater von fere alter und so weiter.
Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der phi-
lologischen Litteratur dieser Zeit erscheint, hat die gröſste Aehnlichkeit mit
der Weise, wie man bei uns Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in
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