höhere Redekunst und Redelitteratur, die durchaus ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst nothwendig und für immer zu Grunde.
Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Litteratur dieser Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisirten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern vorgekommen war (II, 432). Namentlich Cicero war es, der den Versuch machte rhetorische und philosophische Stoffe in dieser Form darzustellen und das Lehr- mit dem Lesebuch zu ver- schmelzen. Seine Hauptschriften sind die ,vom Redner' (ge- schrieben 699), wozu die Geschichte der römischen Beredsam- keit (der Dialog ,Brutus', geschrieben 708) und andere kleinere rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift, ,vom Staat' (geschrieben 700), womit die Schrift ,von den Gesetzen' (geschrieben 702?) nach platonischem Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine grosse Kunstwerke, aber unzweifel- haft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften entwickeln einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leich- ter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der That das Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staate führt in einem wunderlichen geschichtlich-philosophischen Zwit- tergebilde den Grundgedanken durch, dass die bestehende Verfas- sung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine Idee, die freilich eben so unphilosophisch wie unhistorisch, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser eigenthümlich, aber begreiflicher Weise populär war und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politi- schen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen und auch vieles Einzelne, z. B. der grosse Schlusseffect in der Schrift vom Staate, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbei- tung durchaus römische Localfarbe zeigt. Auch die Gesprächs- form Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Conversationston Di- derots oder Lessings; aber die grossen Gruppen der um Cras- sus und Antonius sich versammelnden Advocaten und der älteren und jüngeren Staatsmänner des scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfun- gen für geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte
LITTERATUR.
höhere Redekunst und Redelitteratur, die durchaus ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst nothwendig und für immer zu Grunde.
Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Litteratur dieser Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisirten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern vorgekommen war (II, 432). Namentlich Cicero war es, der den Versuch machte rhetorische und philosophische Stoffe in dieser Form darzustellen und das Lehr- mit dem Lesebuch zu ver- schmelzen. Seine Hauptschriften sind die ‚vom Redner‘ (ge- schrieben 699), wozu die Geschichte der römischen Beredsam- keit (der Dialog ‚Brutus‘, geschrieben 708) und andere kleinere rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift, ‚vom Staat‘ (geschrieben 700), womit die Schrift ‚von den Gesetzen‘ (geschrieben 702?) nach platonischem Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine groſse Kunstwerke, aber unzweifel- haft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften entwickeln einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leich- ter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der That das Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staate führt in einem wunderlichen geschichtlich-philosophischen Zwit- tergebilde den Grundgedanken durch, daſs die bestehende Verfas- sung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine Idee, die freilich eben so unphilosophisch wie unhistorisch, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser eigenthümlich, aber begreiflicher Weise populär war und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politi- schen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen und auch vieles Einzelne, z. B. der groſse Schluſseffect in der Schrift vom Staate, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbei- tung durchaus römische Localfarbe zeigt. Auch die Gesprächs- form Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Conversationston Di- derots oder Lessings; aber die groſsen Gruppen der um Cras- sus und Antonius sich versammelnden Advocaten und der älteren und jüngeren Staatsmänner des scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfun- gen für geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte
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LITTERATUR.
höhere Redekunst und Redelitteratur, die durchaus ruht auf dem
politischen Treiben, ging mit diesem selbst nothwendig und für
immer zu Grunde.
Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Litteratur dieser
Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe
in der Form des stilisirten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr
verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern
vorgekommen war (II, 432). Namentlich Cicero war es, der den
Versuch machte rhetorische und philosophische Stoffe in dieser
Form darzustellen und das Lehr- mit dem Lesebuch zu ver-
schmelzen. Seine Hauptschriften sind die ‚vom Redner‘ (ge-
schrieben 699), wozu die Geschichte der römischen Beredsam-
keit (der Dialog ‚Brutus‘, geschrieben 708) und andere kleinere
rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift, ‚vom
Staat‘ (geschrieben 700), womit die Schrift ‚von den Gesetzen‘
(geschrieben 702?) nach platonischem Muster in Verbindung
gesetzt ist. Es sind keine groſse Kunstwerke, aber unzweifel-
haft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers
am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die
rhetorischen Schriften entwickeln einen Schatz von praktischer
Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leich-
ter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der That das
Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staate
führt in einem wunderlichen geschichtlich-philosophischen Zwit-
tergebilde den Grundgedanken durch, daſs die bestehende Verfas-
sung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale
Staatsordnung sei; eine Idee, die freilich eben so unphilosophisch
wie unhistorisch, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser
eigenthümlich, aber begreiflicher Weise populär war und blieb.
Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politi-
schen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen
und auch vieles Einzelne, z. B. der groſse Schluſseffect in der
Schrift vom Staate, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt
denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbei-
tung durchaus römische Localfarbe zeigt. Auch die Gesprächs-
form Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten
griechischen Kunstdialoge noch der echte Conversationston Di-
derots oder Lessings; aber die groſsen Gruppen der um Cras-
sus und Antonius sich versammelnden Advocaten und der älteren
und jüngeren Staatsmänner des scipionischen Zirkels geben doch
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/585>, abgerufen am 24.11.2024.
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