Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. dificirt, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen wer-den wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund und die brittische vom König Arthur. Ein conservativ gesinn- ter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Frei- geist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimm- sten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, unter allen guten Bürgern das Kreuzige erschollen sein. So führte die philolo- gische und antiquarische Forschung von der Geschichtschrei- bung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren über- haupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens dass man, wie Titus Pomponius Atticus that, die Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit zusammenstellte. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Thätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der grossen von der langen Weile für die lange Weile geschriebenen Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne dass die Buchmacher, zum Theil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten. Einzelne derselben zeichneten wohl unter der Menge sich aus: Macers relativ kritische Stadtchronik ward schon erwähnt; die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676?) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliss in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze. Dagegen übertraf Valerius von Antium in der Weitläuftigkeit wie in der kindischen Fabulirung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten aber- mals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schöne von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Conversation allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um wo möglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellen- schreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hät- ten entgehen lassen. In der That fehlte es auch nicht an griechi- schen Litteraten, welche die römische Geschichte, und zwar kei- neswegs bloss die der ältesten, sondern zum Beispiel auch die der hannibalischen Zeit zu Romanen verarbeiteten: solche Schrif- FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. dificirt, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen wer-den wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund und die brittische vom König Arthur. Ein conservativ gesinn- ter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Frei- geist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimm- sten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, unter allen guten Bürgern das Kreuzige erschollen sein. So führte die philolo- gische und antiquarische Forschung von der Geschichtschrei- bung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren über- haupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens daſs man, wie Titus Pomponius Atticus that, die Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit zusammenstellte. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Thätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der groſsen von der langen Weile für die lange Weile geschriebenen Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne daſs die Buchmacher, zum Theil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten. Einzelne derselben zeichneten wohl unter der Menge sich aus: Macers relativ kritische Stadtchronik ward schon erwähnt; die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676?) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliſs in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze. Dagegen übertraf Valerius von Antium in der Weitläuftigkeit wie in der kindischen Fabulirung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten aber- mals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schöne von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Conversation allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um wo möglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellen- schreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hät- ten entgehen lassen. In der That fehlte es auch nicht an griechi- schen Litteraten, welche die römische Geschichte, und zwar kei- neswegs bloſs die der ältesten, sondern zum Beispiel auch die der hannibalischen Zeit zu Romanen verarbeiteten: solche Schrif- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0576" n="566"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> dificirt, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen wer-<lb/> den wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund<lb/> und die brittische vom König Arthur. Ein conservativ gesinn-<lb/> ter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses<lb/> Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Frei-<lb/> geist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimm-<lb/> sten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre<lb/> Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, unter allen guten<lb/> Bürgern das Kreuzige erschollen sein. So führte die philolo-<lb/> gische und antiquarische Forschung von der Geschichtschrei-<lb/> bung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren über-<lb/> haupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens<lb/> daſs man, wie Titus Pomponius Atticus that, die Beamten-<lb/> und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit<lb/> zusammenstellte. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum<lb/> ihre Thätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der<lb/> groſsen von der langen Weile für die lange Weile geschriebenen<lb/> Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern,<lb/> ohne daſs die Buchmacher, zum Theil bereits Freigelassene,<lb/> um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten.<lb/> Einzelne derselben zeichneten wohl unter der Menge sich aus:<lb/> Macers relativ kritische Stadtchronik ward schon erwähnt; die<lb/> Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676?) war in<lb/> einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliſs in<lb/> der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze.<lb/> Dagegen übertraf Valerius von Antium in der Weitläuftigkeit wie<lb/> in der kindischen Fabulirung alle seine Vorgänger. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
dificirt, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen wer-
den wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund
und die brittische vom König Arthur. Ein conservativ gesinn-
ter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses
Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Frei-
geist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimm-
sten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre
Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, unter allen guten
Bürgern das Kreuzige erschollen sein. So führte die philolo-
gische und antiquarische Forschung von der Geschichtschrei-
bung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren über-
haupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens
daſs man, wie Titus Pomponius Atticus that, die Beamten-
und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit
zusammenstellte. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum
ihre Thätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der
groſsen von der langen Weile für die lange Weile geschriebenen
Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern,
ohne daſs die Buchmacher, zum Theil bereits Freigelassene,
um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten.
Einzelne derselben zeichneten wohl unter der Menge sich aus:
Macers relativ kritische Stadtchronik ward schon erwähnt; die
Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676?) war in
einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliſs in
der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze.
Dagegen übertraf Valerius von Antium in der Weitläuftigkeit wie
in der kindischen Fabulirung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge
war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab
durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten aber-
mals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung,
in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe
Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die
schöne von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene
Conversation allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte
Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um wo
möglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben.
Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellen-
schreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hät-
ten entgehen lassen. In der That fehlte es auch nicht an griechi-
schen Litteraten, welche die römische Geschichte, und zwar kei-
neswegs bloſs die der ältesten, sondern zum Beispiel auch die
der hannibalischen Zeit zu Romanen verarbeiteten: solche Schrif-
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